Flaschenpost vom Narrenschiff

2005 Teil (a)


Merkel, übernehmen Sie!
asylant mit duldung
Merci les amis, et félicitations!
Die Disneyfizierung des Todes
Der Erdrutsch, der keiner war


Sonntag, 04.12.2005
Merkel, übernehmen Sie! Nachdem die Heuschreckendebatte nach nicht ganz sechs Monaten auch mit Speed, Crack und Crystal nicht mehr am Einschlafen zu hindern war – und dabei hatte Genosse Müntefering sich doch solche Mühe gegeben, sich selbst und die Politik seiner eigenen Regierung links zu überholen –, machten sich unter den Gebildeten Ständen des Landes gewisse Entzugssymptome bemerkbar. Aber da waren doch die Wahlen?

Ei freilich, das war spannend: Die Medienberichte über die Wehen der Berliner Regierungsbildung unserer ersten Kanzlerin lenkten unwillkürlich die Gedanken auf die Segnungen des Schwanger-
schaftsabbruchs, oder zumindest doch des Kaiserschnitts; auch wird zuverlässig berichtet, daß zur Sendezeit von "Heute" und "Tagesschau" vielerorts Kopfkissen nicht unter, sondern über den Kopf gezogen wurden. Doch da! Zwei Skandale versprachen eine Wiederbefüllung des erschlafften öffentlichen Entrüstungspotentials: Schröders "Gas-zu-Kohle"-Fauxpas und die peinlichen CIA-
Transporte über deutsches Hoheitsgebiet.

Gerhard Schröders äußerst pragmatischer Sinn für flexible Altersvorsorge konnte allerdings nur die – nicht gerade kleine – Gruppe von geborenen Untertanen erstaunen, deren Bedürfnis nach idola-
trischer Hingabe jedem charismatischen Spaßvogel bei Amtsantritt unweigerlich die Attribute eines Χριστός Σωτήρ (Christos Soter) beilegt. Politische Selbstdenker, mit Sicherheit auch ein großer Teil der etwa 150.000, die seit 1998 die SPD verlassen haben, dürften die jüngsten Seriositäts-
nachweise des teuren Sprücheklopfers ziemlich ungerührt zur Kenntnis genommen haben.

Auch die leider, leider nicht länger zu verheimlichenden Verwicklungen deutscher Stellen in die selbstlosen Einsätze der Amerikaner im Kampf gegen die Achse des Blöden bergen bedauerli-
cherweise nur feuchten Zündstoff. Eben weil mit Ausnahme der – endlos mit ihrem eigenen Schlüp-
fen beschäftigten – Linkspartei alle irgendwie Dreck am Stecken haben. Da wird, wie die stark abgereicherte moderne Polit-Metaphorik es ausdrückt, der Ball doch tunlichst flach gehalten. Genug davon, einstweilen. Zum 60. Jahrestag des Nürnberger Prozesses wäre man eigentlich unseren amerikanischen Freunden und ihrem besonderen Rechtsverständnis eine eigene Betrach-
tung schuldig.

Nun aber zum aktuellen Einsatzbefehl für Cobra – Verzeihung: Merkel. Das ist natürlich die Par-
allele. Auch der sonst der kapitalistischen Klassenjustiz eher abholde Christian Ströbele bediente sich ihrer mit dem aufrüttelnden Ruf "Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!", als sie ihm vorm Reichstag das Fahrrad geklaut hatten. Oder was war's doch gleich? Na egal, wir waren ja eigent-
lich beim Fall Ahmadinedschad.

Nehmen wir das Einfachere und zugleich Wichtigere zuerst. Wie es sich für einen islamistischen Hardliner gehört, verkündet der iranische Präsident rezidivierend, daß Israel an der Stelle, wo es sich zur Zeit befindet, nichts zu suchen habe. Und man möge sich doch bitte Gedanken machen, wohin man den Zionistenstaat auslagern könnte; dort jedenfalls müsse das Ding weg. Nun ist die geistige Gesundheit des iranischen Staatschefs erkennbar nicht gerade die beste. Aber damit steht er in der herrschenden Mullah-Diktatur ja nicht allein, und man hatte es vorher schon geahnt. Ein Regime, das – um nur ein aktuelles und besonders aufschlußreiches Beispiel zu nennen – heute, im 21. Jahrhundert, 16jährige wegen "unkeuschen Verhaltens" hängt, kann nur zutiefst krank sein.

Und doch, bei aller Verwirrtheit, Ahmadinedschad hat dankenswerterweise endlich einmal ein hi-
storisches Faktum ins öffentliche Bewußtsein der "westlichen" Welt gehoben, das z.B. in der Bun-
desrepublik seit mehr als einem halben Jahrhundert systematisch tabuisiert wird: die Entstehungs-
geschichte des Staates Israel und die völkerrechtlichen Konsequenzen dieser Staatsgründung. Irgendwie scheint die Geschichte des arabisch-israelischen Konfliktes immer mit den arabischen Terrorangriffen zu beginnen, davor – tabula rasa. Dem wollen wir etwas abhelfen. Wer aus den verstreuten Einzelfakten zu dieser unglückseligen Geschichte das ganze Mosaik rekonstruiert, wird mit Erschrecken feststellen, daß der Staat Israel von Anfang an unter Bruch aller gültigen Prinzipien des Völkerrechts auf arabischem Boden errichtet wurde. Die zionistische Landnahme in Palästina erfüllt u.a. die Tatbestände der illegalen Masseneinwanderung, des Angriffskrieges, der Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, der Massenvertreibung (ethnischen Säuberung), um nur die historisch wichtigsten zu nennen. Daß die UNO mit ihrem Teilungsbeschluß von 1948 dieser dreisten Aggression auch noch das Mäntelchen internationalen Rechts umhängte, sich also quasi die Belehnungsrechte eines mittelalterlichen Feudalherren anmaßte, sollte eigentlich sogar einge-
fleischten Rechtspositivisten übel aufstoßen. Die geplante Aufteilung (56% Palästinas an 700.000 jüdische "Einwanderer", 44% für die 1,3 Mio eingesessenen Araber) wurde dann von Jehovas Auserwählten noch ein wenig zurechtgerückt (77 : 23), was weder die Westmächte noch die Ver-
einten Nationen sonderlich störte. Das Ganze wohlgemerkt zugunsten einer in nur sechs Jahrzehn-
ten illegal eingedrungenen, durch die religiöse Wahnidee des "Gelobten Landes" jeden Skrupels enthobenen jüdischen Minderheit. Das Ganze auf Kosten einer seit 1.300 Jahren im palästinen-
sischen Raum ansässigen arabischen Bevölkerung. Nein, alles was unrecht ist: Es ist, wie Ahmadi-
neschad sagt: Die Juden, die den zionistischen Staat ausriefen, hatten in dem Gebiet nichts zu suchen, und folglich entbehrt der daraus entstandene Staat jeglicher Legitimität, auch heute noch.

Der Staatsrechtler Georg Jellinek prägte einmal das treffende Wort von der "normativen Kraft des Faktischen". Carl Schmitt – einer der unangenehmsten, rechthaberischsten alten Knacker, die ich je persönlich kennenlernen durfte – benutzte einst diesen Topos so ausgiebig zur staatsrechtlichen Legitimierung der nationalsozialistischen "Umgestaltung" der Weimarer Republik, daß man ihn meist für dessen Urheber hält. Wie auch immer, man kann die Juden mit ihrem vermaledeiten, un-
glückbringenden Staat zum Teufel wünschen; trotzdem ist er da, dieser Staat. Und diese Faktizität entfaltet durchaus eine normative Kraft. Die islamistische Intransigenz, mit ihrer makabren Vision, die Juden "ins Meer zu treiben", ist zum Glück und solange die Macht der klassischen Westmächte ungebrochen ist, nur das Symptom einer pathologischen Realitätsverweigerung bei den Mohamme-
danern. Eben das, was die Leute am besten können: die ekstatische, sich ihre Wahrheit selbst er-
schaffende Rhetorik, für welche schon die Arabienreisenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts die freundliche Umschreibung "Mythomanie" benutzten. Nun geht sicher eine ungebrochene Tradition mythomanisch-hemmungsloser Erheiterung von Karl Mays Hadschi-Halef-Omar-Ben-Hadschi-
Abul-Abbas-Ibn-Hadschi-Dawud-Al-Gossarah bis hin zu Saddams letztem Propagandaminister Mohammed Said Al Sahhaf und seinen phantasievollen Siegesmeldungen. Das dürfte den Israelis wohl kaum ein Trost sein im Fall der Fälle. Eher könnte die hier sich offenbarende politische wie intellektuelle Hilflosigkeit sie noch in ihrer grotesken Herrenmenschenideologie bestärken.

Umso düsterer die Zukunftsperspektive des Konfliktes. Es leben in Deutschland und anderswo Legionen von Dampfplauderern – auch Nahost-Experten genannt – recht auskömmlich von Ana-
lysen und "Lösungsansätzen", die überwiegend auf das Verdikt hinauslaufen: Um die islamistische frénésie gegen die Moderne allgemein und alles Westliche im besonderen zu überwinden, muß unbedingt die Armut in den islamischen Ländern beseitigt werden, und dann klappt's auch mit den beschnittenen Nachbarn. Getreu dem guten alten marxistischen Dogma, daß Revolutionen grund-
sätzlich ein Armutsphänomen seien. Diese monokausale, ökonomistische Deutung – so dumm wie sie ist und so brillant sie schon vor 180 Jahren von dem scharfsinnigen Alexis de Tocqueville wi-
derlegt wurde – sie sei denen, die sie verzapfen, nachgesehen. Ohne es oft selbst zu wissen, sind sie Gefangene von neomarxistischen Denktraditionen, die von den Achtundsechzigern begründet oder wiederbelebt wurden; und deren Stärke war doch mehr die lediglich hineindeutende "Dialek-
tik", weniger die logische Kausalanalyse. Trotz geradezu unglaublicher intellektueller Verrenkungen wollte es den marxistischen Historikern der kommunistischen Regimes nicht gelingen, z.B. die Reli-
gionskriege, den Absolutismus, Aufklärung und Gegenaufklärung als ganz oder überwiegend durch ökonomische Interessenlagen erzeugte Phänomene zu erklären. Als die Christen unter Kaiser The-
odosius – sozusagen gerade erst selbst von den römischen Kreuzen abgenommen – umgehend ihren blöden Sektenglauben zur Staatsreligion erklärten und nun ihrerseits die "Ungläubigen" an die noch warmen Kreuze nagelten oder verbrannten – wo sollte da ein materielles, gar ökonomisches Interesse sein? (Gewiß, gewiß, die Holzlieferanten.)

Mögen die Entdeckungsfahrten und die Eroberung Amerikas u.a. auch ökonomische Triebfedern gehabt haben – mindestens genau so folgenreich waren Humanismus, Reformation und Aufklärung, die wiederum keine Hungerrevolten waren, sondern emanzipatorische Massenbewegungen, ge-
richtet auf das Recht auf Diesseitigkeit, auf freie Forschung, freies Denken, Gleichberechtigung und Würde. Der jahrhundertelange Kampf von Kirche und Fürsten gegen eben diese Emanzipations-
bewegungen war ein dogmatischer. Nicht um irdische Güter ging es; der Sinn des verbissenen Kampfes war vielmehr, die Widersacher der Einen Wahrheit entweder zu bekehren oder zu ver-
nichten.

Ist die materialistische Moderne gesünder? Wenn religiöser Fundamentalismus und Fanatismus letztlich bloß eskapistische Projektionen aus einer trostlosen Diesseitigkeit sind, die verschwinden, sobald das Elend verschwindet – wie reich muß Amerika dann noch werden, damit der abstruse und intolerante Fundamentalismus der "konservativen Christen" endlich abheilt? Mehr als die Hälfte aller Amerikaner – besonders Mittel- und Oberschicht – glauben, daß Gott die Welt und den Menschen eigenhändig erschuf, und zwar vor höchstens 10.000 Jahren. Mit allen juristischen Mit-
teln, aber auch durch vielfältige Pressionen versuchen diese im wahrsten Sinne des Wortes Be-
schränkten, die moderne Biologie wie das naturwissenschaftliche Weltbild überhaupt aus Schulen und Universitäten zu verdrängen. Und wer noch Anschauungsunterricht zur Psychopathologie der "wiedergeborenen Christen" braucht, schaue sich "Hour Of Power" in VOX an, diese irrwitzig komischen, aber, in ihrer suggestiv inszenierten Masseninbrunst, auch wieder beängstigenden Sek-
tenveranstaltungen, in denen eine ziemlich abgedrehte Religiosität sich selbst feiert.

Auch ein Blick in die sattsam bekannte "jüngere Vergangenheit" dämpft die Hoffnung, demnächst einfach durch Hebung des Lebensstandards der arabischen Feindschaft gegen Israel und den Westen den Nährboden zu entziehen. Der westeuropäische, speziell der deutsche Antisemitismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war vor allem ein Denkstereotyp der gehobenen Schichten, nicht der Armen. Dies umso mehr, seit die völkische Ausgrenzung "des" Juden nach Darwin, Gobineau und Chamberlain zum biologistischen Rassenantisemitismus mutiert war, der noch nicht einmal konkrete Begründungen für die Feindschaft erforderte: Der Determinismus der genetisch verankerten Minderwertigkeit machte fortan die Anstrengung überflüssig. Vielleicht erklärt das – die naturwissenschaftliche Travestie des Antisemitismus – daß er vor allem in den Kreisen der Gebildeten und Halbgebildeten heimisch wurde, den bildungsfernen Schichten aber eher fremd blieb. Dementsprechend gutbürgerlich waren auch seine Manifestationen, vom süffisanten Augen-
brauenheben bis hin zur zivilen Bösartigkeit pur, sozusagen: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war es deutlich gefährlicher für die bürgerliche Existenz, homosexuell zu sein, als Jude. Emile Zola mußte sich jahrelang anstrengen, um seinen Zeitgenossen das Skandalöse am Dreyfus-Skandal überhaupt begreiflich zu machen, und nicht wenige empfanden eher Zolas Pro-Dreyfus-Kampag-
nen als das eigentlich Anstößige, getreu Karl Kraus' witzigem Bonmot: "Der Skandal beginnt, wenn die Polizei ihm ein Ende setzt".

Nur scheinbar folgerichtig ist die Einmündung dieser bürgerlichen antisemitischen Traditionen in die Vernichtungsvisionen Adolf Hitlers und seiner Gefolgsleute. Gewiß – die Träger des Vernichtungs-
gedankens, die Kader der NSDAP und ihrer Organisationen waren überwiegend bürgerlicher Herkunft und entsprechen – anders als Hitler selbst – auch keineswegs dem Typus des verarmten, gescheiterten Opfers von Krieg und Nachkriegszeit. Sie waren jedoch nicht repräsentativ für das Bürgertum. In Wirklichkeit war die Resonanz im Bürgertum auf diejenigen Elemente der Hitler-
schen Ideologie, die dem Führer am wichtigsten waren, nämlich den "Rassenkampfgedanken", eher gering. Das, was die Menschen, quer durch alle Schichten, mit Hitler verband, war die nicht verwundene Niederlage von 1918, der gemeinsame – und vollkommen berechtigte – Haß auf die Versailler "Friedensordnung", die Furcht vor dem Bolschewismus. Am anfälligsten für Hitlers wirk-
liches Anliegen waren bezeichnenderweise Leute, deren berufliches Fortkommen von ihrer "gefes-
tigten Weltanschauung" abhing. Und natürlich ganze Jahrgänge von Schülern und Studenten, deren intellektuelle und menschliche Unreife sie ja bis zum heutigen Tage zu bevorzugten Adressaten po-
litischer "Bildungs"-Anstrengungen macht. Paradoxe Situation: Die Mehrheit der Deutschen war wohl in der einen oder anderen Weise antisemitisch, aber gerade die bürgerlichen Schichten blie-
ben weitgehend immun gegen die vom Nationalsozialismus eigentlich gemeinte tödliche Konse-
quenz, so wie sie in den Reden und Artikeln des angeblich so genialen Reichspropagandaministers Dr. Goebbels plump zutage trat. Ein Volk von Antisemiten, vor dem die eigene Führung die Wirk-
lichkeit der Vernichtungslager mit aller Macht bis zum Schluß geheimhalten mußte – ein schwer zu bewältigender Widerspruch für unsere Westentaschen-Savonarolas der etwas einseitigen Vergan-
genheitsbewältigung.

Zurück zu Ahmadinedschad: Die Leugnung der Shoah, also des sogenannten "Holocaust", sollte man nicht unbedingt in den Kategorien moderner zeitgeschichtlicher Forschung gewichten. Ahmadinedschad erreicht hier noch nicht einmal das Niveau eines durchschnittlichen deutschen Studienrats, Fach Geschichte, nur das Vorzeichen der Ahnungslosigkeit ist umgedreht. Zugunsten der Studienräte ist immerhin festzustellen, daß es an der Realität des Projekts "Endlösung" nichts zu deuteln gibt. Daß hier nun zur Abwechslung wieder einmal Auschwitzlüge #2 ("Es wurden keine Juden ermordet") angesagt ist, ist zwar kein Remedium gegen Auschwitzlüge #1 ("Es wurden 6 Millionen Juden vergast"); aber es tut schon wohl, mit versonnenem Lächeln dem politisch korrek-
ten Gegacker der selbsternannten Erbpächter historiographischer Endgültigkeit zu lauschen, sobald auch nur ein intellektueller Niemand aus Persien am potemkinschen Bühnenbild rüttelt. Natürlich wird auch das niemanden aus dieser Szene auf den Gedanken bringen, einmal in älteren Veröffent-
lichungen z.B. des renommierten Münchener "Instituts für Zeitgeschichte" nachzulesen, wie unsicher die Beweislage hinsichtlich der Naziverbrechen in Wahrheit ist, und wie abenteuerlich verschieden die geschätzten Opferzahlen.

Derlei forschende Anstrengung erübrigt sich ja auch schon deshalb, weil nur eine Minderheit in Deutschland aufmucken wird, wenn nun wieder einmal die bedingungslose deutsche Solidarität mit Israel bruchlos aus der deutschen Schuld an "den" Juden abgeleitet wird. Eine Schuld, bei der die Größenordnung zählt, jedoch die genaue Zahl der Opfer in der Tat nicht die geringste Rolle spielt, soviel müßte eigentlich für beide (!) Seiten außer Frage stehen. Aber eine Schuld wessen? Was heißt "deutsche Schuld"? Ich wüßte zu gern, ob das endlose Geschwätz von deutscher Schuld mehr ist als die kostenlose Selbsterhöhung von Pharisäern, ob der irrationale Unverstand bei den heute 50- oder 30jährigen wirklich so weit geht, aus den vergangenen Verbrechen wildfremder Menschen so etwas wie eine personale Erbsündigkeit oder Haftung für sich selbst abzuleiten. Wenigstens und höchstens "für sich", denn der gewissermaßen vormundschaftliche Transfer dieser Schuldgefühle auf die Masse der Deutschen, die solchen masochistischen Verlockungen vielleicht widerstehen könnten, sollte ohnehin unter Strafe gestellt werden. Vor allem aber: Welche Solida-
rität mit Israel und seiner verbrecherischen Politik ließe sich überhaupt aus deutscher Schuld her-
leiten, wo doch zwischen den überlebenden Opfern des Nationalsozialismus und der israelischen Bevölkerung noch nie mehr als eine demographisch schwindende Teilidentität bestand?

Und schließlich: Auch die Opfer von Verbrechen haben keinen Freibrief, ihrerseits Verbrechen zu begehen.

Man könnte also an dieser Stelle noch eine Betrachtung über die gespaltene Moral der deutschen politischen Klasse anschließen lassen, die aus einer längst zum sinnleeren Sühne-Manierismus ge-
wordenen "Gewissensnot" heraus hinsichtlich der israelischen Verbrechen eine Außenpolitik der uneingeschränkt gewissenlosen Solidarisierung praktiziert. Die Spaltung setzt sich in der Beschäf-
tigung mit Ahmadinedschad fort, ganz ähnlich wie bei den deutschen Rechtsradikalen: Einerseits muß man sich wieder einmal furchtbar entrüsten, andererseits: Hätte man ihn nicht, man müßte sich den Mann geradezu erfinden – schließlich, irgendwen zum Entrüsten braucht man doch.

Also: Es darf sich entrüstet werden! Wir müssen natürlich – aus Gründen des nachhaltigen Um-
gangs mit medialen Ressourcen – darauf bestehen, daß die Sache mit angemessenem Timing, also nicht übereilt, bereinigt wird. Die Hohmann-Affäre könnte als Schnittmuster dienen. Auf jeden Fall ist doch wohl klar, daß wir es hier mit einer ersten Chance für den Nachweis staatsmännischen Formats für Frau Merkel zu tun haben, so wie deutsche Politiker es lieben: Klare Sprache, hartes, konsequenzenfreies Durchgreifen, null Kosten, null Sachverstand, Ideologie pur genügt.

Und überhaupt. Angesichts dieser unerträglichen antisemitischen Ausbrüche gibt es eigentlich nur eine angemessene Reaktion: Frau Merkel muß unbedingt Herrn Ahmadinedschad sofort aus der CDU ausschließen! Die vorherige Aufnahme des Delinquenten in die Partei sollte sich wohl unauffällig arrangieren lassen.

Also, ich wiederhole: Cobra – äh Verzeihung, Merkel, übernehmen Sie!
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Sonnabend, 16.07.2005
Das Studium des aphixis-Weblogs (in dem laufend die verschiedenen Zugriffe auf die Homepage protokolliert werden) ist nicht nur informativ; überdies kann man ihm einen gewissen Unterhal-
tungswert nicht absprechen. Erstaunlich zum Beispiel, was manche Zeitgenossen sich so unter einer Suchmaschine vorstellen. Vor einigen Wochen fand ich so z.B. eine in dieser Hinsicht aufschluß-
reiche Google-Sucheingabe: "ich will einen asylanten mit duldung heiraten was muss ich tun", lau-
tete die Anfrage, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem weiblichen Wesen eingetippt.

Wie die in "natürlicher Sprache" formulierte Eingabe zeigt, ist das Vertrauen in die semantische Intelligenz des Netzwerks erheblich. Am anderen Ende der Internetverbindung sitzt offenbar der elektronische Cousin des Ratgeber-Onkels von "Bravo" und bearbeitet verständnisvoll auch noch verschlagwortungsferne Eingaben wie: "Seit Weihnachten guckt mein neuer Goldhamster, den mir mein Freund geschenkt hat, so komisch. Soll ich ihm mal das Supermankostüm abmachen?"
So weit, so treuherzig.

Wir wollen also einen Asylanten mit Duldung heiraten, wie schön. Mag sein, daß es Liebe ist, dann gibt's, mit den besten Wünschen für die Frischvermählten, nichts weiter zu kommentieren. Mag aber auch sein, daß hier wieder einmal der sattsam bekannte politisch motivierte Schleuserverkehr der besonderen Art mit Trauschein angesagt ist. Wie so die Nächstenliebe zuschlägt. In diesem Fall zücken also der gebeutelte Steuerzahler, der Arbeitslose, der allzeit verzichtswillige Sozial-
versicherte schon mal virtuell die Börse, um so viel rentensichernder Bevölkerungsverjüngung nicht im Wege zu stehen. (Mit 'rentensichernd' meine ich übrigens nicht unsere Rente, sondern die des Zuwanderers.)

"Was muß ich tun?" Also, die im informationellen Niveau der Google-Anfrage wie auch in deren politischem Sujet deutlich werdende, mehr "emotionale Intelligenz" der Suchenden weist eigentlich in die eugenische Richtung. Mein Ratschlag: Verhüten, Mädchen, unbedingt verhüten!



Jeudi le 30-06-2005
Merci les amis, et félicitations! Après ces longues années d'observation impuissante où le mépris pour les apprentis sorciers de l'Europe n'atténuait guère l'agacement - l'eurosceptique que je suis s'accorde un tout petit sourire sardonique. Merci encore une fois. Enfin voilà un premier moment de vérité pour nos eurocrates vaniteux, créateurs de cette minable "Union Européenne" qui a depuis longtemps cessé de mériter ce nom.

En demandant au peuple – pour la simple forme, cela allait de soi – son avis au sujet de cette fameuse Convention Européenne votre président Jacques Chirac a contracté une défaite aussi inattendue que méritée. Inattendue en tout cas jusqu'au moment où les premiers sondages révélèrent l'écart surprenant, que dis-je: ahurissant entre l'opinion "publique" et l'opinion de la majorité des Français. C'est d'ailleurs un bel exemple où la prodigieuse "volonté générale" du brave Jean-Jacques, chérie de tous les esprits élucidés et totalitaires de tous temps, doit s'incliner devant la "volonté de tous", enfin, soyons honnêtes: la "volonté de la majorité". Ben, il y de ces gaffes qui ne pardonnent pas, Jacques Chirac s'en est aperçu sans doute. Surtout que ses collègues des autres gouvernements la lui rappelleront de temps en temps ...

Du moins les Français ont-ils eu, pour une fois, l'occasion d'exprimer leur mécontentement avec "l'Europe" tout court, peu importe quelles étaient les craintes et doléances individuelles: le système social menacé, la peur de l'effondrement du marché de l'emploi, la souveraineté nationale entravée ou juste l'insupportable arrogance des eurocrates de Bruxelles et le gaspillage d'argent qui est leur besogne quotidienne. Les subventions pour les agriculteurs français? Euh, c'est pas le moment, hein. De son côté, le spectateur allemand qui est, lui, privé de toute influence sur le processus européen, en tire un brin de satisfaction à l'idée d'avoir été parfaitement (et efficacement) représenté par les concitoyens d'à côté.

La presse et la télévision allemandes n'ont pas pris pour autant la peine de faire état des mois de "massage intime" auxquels les citoyens français ont eu droit de la part des médias, du lavage de cerveau parfaitement coordonné par le gouvernement, afin d'étouffer le moindre doute que les Français pourraient avoir à l'égard des effets bénéfiques de la Constitution à adopter. D'autant plus méritoire la fermeté avec laquelle les Français ont résisté à la manipulation

Evidemment, ce serait se bercer dans un illusionisme accru que de croire que le "Non" français nous ait procuré plus qu'un sursis. Des armées de fourmis eurocrédules, déconcertées seulement pour un court instant dans leur zèle, vont bientôt reprendre leurs activités habituelles, tisser imperturbablement à la toile du "projet européen". Des fourmis qui tissent? Allez, remplacez par "des araignées", je vous en prie, et passons. Non sans retenir en tête que l'absurdité de la métaphore de fourmis tissantes pourrait parfaitement refléter l'absurdité du processus et en anticiper le résultat final. Enfin, ce qui compte c'est le Projet Européen, pas vrai?

Qu'est-ce que ce projet européen? Contrairement à ce que les pères de l'Europe des Six avaient visé à l'origine, il ne s'agit plus d'un rapprochement économique aussi bien que politique entre des Etats qui apportaient chacun du leur à une oeuvre commune profitant à tous et dont le nombre strictement limité justifiait un optimisme prudent quant à une future communauté supranationale. Hélàs, s'il faut admirer l'austérité d'esprit de ces politiciens d'avoir accordé à la future communauté économique un premier délai d'adaptation de douze ans avant d'établir le marché commun, il n'en n'est pas de même pour leurs successeurs. La chute, le péché originel de la "communauté", se produisit tôt et ceci sur deux plans: Le péché originel c'est d'avoir permis l'entrée de la Grande-Bretagne dans la communauté. Sur le premier plan, l'intrusion d'un tel élément parfaitement égoïste et destructeur per definitionem marqua l'abandon de l'idée d'un renforcement de l'union par approfondissement en faveur d'un simple élargissement. Sur le deuxième, c'est avec l'Angeleterre que s'est introduit l'idée qu'il valait le mieux faire de l'Europe une zone de libre-échange et laisser tomber le reste. Et aujourd'hui? Lors d'une des innombrables conférences sur l'élargissement de l'union vers l'est, l'un des innombrables participants a retiré, pour un moment, le voile de l'euphorie dilatatrice pour ainsi dire: Il a fait mention du fait peu surprenant "que nombre des futurs Etats membres de l'Union, ayant à l'esprit les précédents élargissements, voient d'abord l'intérêt économique de leur adhésion à l'Union alors qu'ils s'interrogent sur l'opportunité d'une intégration politique plus approfondie".
Voilà ce que nos amis anglais appelleraient un understatement classique ...

Aujourd'hui, un nombre croissant d'anciens partisans de l'Europe unie reculent devant l'aboutissement du projet: devant cette Europe membre exécuteur de la mondialisation et de la conspiration néolibérale; une Europe 'unissant' l'incohérent; une Europe dont les contours commencent à se perdre dans les profondeurs de l'Asie. Et tout cela pourquoi et pour qui?

J'avoue en toute franchise, et sans la moindre honte, que je ne connais pratiquement rien de la "Convention Européenne" que vous avez si gentiment rejetée. Tout comme la plupart des habitants des pays membres d'ailleurs. En effet, il n'est pas besoin de connaître quoi que ce soit dans cet ouvrage, sauf une chose: sous une véritable montagne de paroles bien choisies, la "Convention" ne ferait que quasi-légaliser et renforcer l'implacable emprise sur la vie de nous tous d'un organisme ne possédant aucune légitimité.

Tout le monde sait que les "directives", souvent farfelues, de la Commission tiennent compte de l'opinion des citoyens uniquement en tant qu'obstacle d'ordre mineur à la tâche de satisfaire les besoins des groupes de pression, notamment de l'industrie, des possédants. Le déclin de nos systèmes sociaux tels que nous les connaissions et que beaucoup parmi nous croyaient inébranlables, - non seulement que ce déclin est désormais une simple question du temps, il semble même être un élément constitutif et voulu de la nouvelle Europe. A ceux qui osent regarder cette nouvelle Europe droit en face, celle-ci ne cache guère son vrai caractère.

Or, le vote des Français a démontré une chose: Nous ne voulons pas d'un "gouvernement" européen que nous pouvons tenir responsable de n'importe quoi sans que personne n'en prenne la moindre responsabilité réelle.

Que penser donc de la proposition que votre nouveau Premier ministre, M. de Villepin, vient d'avancer: serait-il vraiment possible que quelqu'un ait le courage de penser l'inouï? de concevoir l'idée d'une Europe intérieure, quasiment rétrécie, au sein de cette autre Europe, surgonflée et déséquilibrée, qui autrement menace de déstabiliser sans merci nos économies? Ce serait quand même un début: créer à l'intérieur de cette ridicule "union" des 25, un noyau dur, une zone de stabilité économique et sociale, grâce à un système de protection douanière modérée, seul moyen de parer la "concurrence" des pays à la main-d'oeuvre trop bon marché.
Cependant, on peut se demander pourquoi cette idée brillante n'est pas venue plus tôt à l'esprit de M. de Villepin, par exemple quand il fallait justement protéger nos économies contre l'élargissement néfaste de 2004. Ce fait à lui seul suffit pour démasquer l'initiative du Premier ministre comme étant de l'hypocrisie pure et simple. Tacticien à toute épreuve, il renchérit encore lors de son discours devant l'Assemblée nationale du 15 juin: "Nous, Français, qui avons répondu "non" au projet de texte, nous portons une exigence particulière de vérité et de lucidité. Aujourd'hui, j'ouvre le débat avec vous." Nous qui avons répondu "non" - alors ça, c'est brillant.

On s'imagine facilement où en va aboutir le débat que M. de Villepin vient d'ouvrir avec "vous". Voyons de plus près comment il juge vraiment la situation:
"Les Françaises et les Français veulent savoir dans quelle Europe ils construiront leur avenir et quelles seront ses frontières. Pour répondre à leurs questions, nous devons en priorité apprendre à mieux nous connaître et approfondir les relations avec les nouveaux Etats membres. ... Les progrès de la construction européenne seront d'autant mieux acceptés qu'ils auront été compris par tous nos concitoyens et qu'ils se les seront appropriés." (Discours du 15 juin)

Autrement dit, il s'agit nullement d'une construction européenne terriblement ratée. Non, le vrai problème réside ailleurs: c'est tout simplement l'ignorance des Français, leur conscience et connaissance déficitaires qui les empêchent de bien saisir la nécessité absolue du suicide collectif.

En Union Soviétique, les cliniques psychiatriques débordaient de gens incapables de saisir la logique et la nécessité du socialisme type marxiste-léniniste ce qui ne pouvait être que le symptôme d'une grave maladie mentale. Heureusement, nous ne sommes pas encore à ce point-là, dans le débat européen. Mais le cas échéant: du courage, les amis. Je viendrai vous porter des fleurs!



Freitag, 13.05.2005.
Die Disneyfizierung des Todes. Bis zum heutigen Tage hat wohl niemand das Geheimnis ent-
schlüsseln können, warum der Mensch so unwiderstehlich vom Grausigen angezogen wird, vor-
ausgesetzt, es betrifft nicht ihn. Das Bedürfnis, bei Unfällen, Katastrophen, ja Hinrichtungen mög-
lichst hautnah dabeizusein, ist ja nicht erst mit dem Fernsehen in die Welt gekommen. Fast möchte man, ganz im Gegenteil, es mit einem gewissen Bedauern konstatieren, daß durch die Zwischen-
schaltung des Mediums Film/Fernsehen das Ganze doch sehr an Unmittelbarkeit verloren hat. Die Mißlichkeit wird noch verstärkt durch die Unart der Fernsehjournalisten, immer schon zu Beginn zu verraten, wie die Sache ausgegangen ist, was dem Event klar die Spannung des ungewissen Ausganges entzieht. Spannung: Man darf gespannt sein, welcher Kommerzsender als erster dem Mißstand abhilft, etwa in der Art: "Wo das Unglück geschah und ob die Rettungsaktion gelang, das erfahren Sie nach der Werbung!" Eine Zuschauer-Telefonabstimmung (49 Ct/Anruf), z.B. als multiple choice über der Menge {"Anspruch"; "Humor"; "Spannung"; "Musik"; "Gefühl"}, böte zudem eine sichere Zusatzeinnahme.

Am ursprünglichsten noch die Amerikaner, bei denen das alte Kulturgut der (eingeschränkt) öf-
fentlichen Hinrichtung noch hochgehalten wird. Natürlich kann hier – infolge des unbestrittenen Moments von Rache und gewissermaßen sterbend gelebter Wiedergutmachung – von Wertfreiheit und reiner Empirie nicht mehr die Rede sein. Trotz der klinischen Nüchternheit der Inszenierung ist ja Freiheit von Emotion mitnichten das Ziel, wenn die Angehörigen von Mordopfern und andere Privilegierte sich – beeinträchtigt nur durch die eventuell vorhandene Glaswand – die Hinrichtung des Täters intensivst, mit saugenden Blicken anschauen dürfen.
Das Ganze wird nur noch getoppt durch die stunden- oder gar tagelangen "menschlichen" Be-
gegnungen, in denen überlebende Opfer oder Angehörige vor der Hinrichtung unter ständigen "I forgive you"-Beteuerungen dem Delinquenten noch einmal beim Begreifen dessen, was er ihnen angetan hat, behilflich sind, bis er – hoffentlich – psychisch zusammenbricht. Von dieser ultimen Sühneleistung kann man danach jahrelang zehren und, videomäßig authentifizierend, bei Dutzenden von Brunches und Barbecues erzählen. Nur beiläufig und nicht in der Absicht, unsere westliche Wertegemeinschaft in Frage zu stellen, sei angemerkt, daß nach verläßlichen Hochrechnungen etwa 15% der in den USA verhängten Todesurteile Justizmorde sind ...

Betroffensein ist offenbar ein relativer Begriff. Vielleicht sollte man langsam von der heuchlerisch objektivistischen Formulierung "Ich bin betroffen" übergehen zu dem selbstbewußten, voluntaris-
tischen "Ich mache mich betroffen". Jedenfalls mußte man bei dem mediengerecht in die Länge gezogenen Hinscheiden Johannes Pauls II. unbedingt zu dem Schluß kommen, daß da auf dem Petersplatz zu Rom eine Unmasse von Gläubigen ausharrte, die in erster Linie entschieden hatten, betroffen zu sein, weil sie gerade Zeit hatten. So unterhaltsam kann Sterben sein: Jedes Bulletin der Doctores löst einen tief betroffenen Begeisterungsapplaus der Wartenden aus. Wer mit etwas Glück eine TV-Kameralinse erspäht, kann seine Betroffenheit auch noch durch Hochreißen der Arme, fröhliches Grinsen und Hochspringen für breitere Kreise visualisieren. Dann ist fürs erste das Zeitliche gesegnet. Die Trauerpredigt des Kardinals Ratzinger: beifallsumtost. Der Sarg des teuren Toten wird ein letztes Mal den Gläubigen gezeigt: Applaus. Aber dann endlich erteilt der neuge-
wählte Pontifex der Menschheit seinen ersten Segen "urbi et orbi": Frenetisches Händeklatschen für den Stellvertreter Christi, Herrgott, was für ein Lebensgefühl, fast wie Big Brother! Papst à la Pop. Wahrlich, wahrlich, man sollte sich so einen Papstwechsel ruhig mal öfter gönnen.

Der noch neue Renner beim Fernsehen, nämlich die interaktive Einbindung des Publikums, ist bei genauerem Hinsehen nicht ganz so revolutionär, wie man glauben möchte. Als ich neulich, ganz zufällig, wieder einmal Schlöndorffs "Geschichte der Dienerin" zu sehen bekam, fiel mir auf, daß bei den Hinrichtungen das Publikum durchaus aktiv Anteil nimmt: Die anderen Dienerinnen ziehen die in Sünde gefallene Kollegin hingebungsvoll am Seil hoch. Die wiederum rächt sich verstockt, indem sie – klarer Stilbruch – beim Ersticken kein bißchen zappelt, nicht das kleinste bißchen, was natür-
lich dem Spektakel einiges von seinem interaktiven Reiz nimmt.

Dummerweise sind ja bei vielen Events die Medien mit ihrem verbrieften "Recht der Öffentlichkeit auf Information" nicht rechtzeitig zur Stelle. Mörder scheuen bei der Tatbegehung ja (noch) meist das Licht der Öffentlichkeit. Aber die trauernden Hinterbliebenen arbeiten dran. Unvergessen die Pionierleistung einer hübschen Lübecker Schankwirtin, die die Talion für den Tod ihres kleinen Mädchens resolut in die eigenen Hände nahm: Am 6. März 1981 erschoß Marianne Bachmeier im Gerichtssaal den Mörder ihres Kindes, Klaus Grabowski. Alles in Ordnung, mich ärgerte nur, daß der Bursche ausgerechnet ein Namensvetter war. Bedauerlich, manche Morde, wirklich.

Weniger konsequent, dafür aber mit einem pragmatischen Verständnis für das richtige Input-Out-
put-Verhältnis ausgestattet, dokumentierten die Eltern der niedlichen kleinen Angelina im April diesen Jahres ihre medienwirksame Betroffenheit. Am Ende der nichtöffentlichen Urteilsverkün-
dung stürzen sich Mutter Nora M. und ihr Lebensgefährte Mike O. auf den 17jährigen debilen Mörder – natürlich erst, nachdem die Türen des Gerichtssaals geöffnet sind – und richten ihn übel zu. "Es mußte einfach sein", sagt die Mutter anschließend den ganz zufällig anwesenden Reportern, die alles ganz zufällig praktisch MAZ-fertig in Bilder fassen können. Und genau das drückt das Gesicht der Mutter "danach" aus: stammtischreife Genugtuung. Trauer? kein Stück. "Es mußte einfach sein", sagten sich wohl auch die Justizbeamten und die Polizisten, die leider – ganz zufällig – erst eingreifen konnten, als die prügelnde, schreiende Menschentraube von Eltern & Friends mit dem blutenden Stück menschliches Elend fertig war. Hatte die F.A.Z. Recht, als sie mutmaßte, einschlägig bekannte TV-Sender oder Boulevardzeitungen könnten bei dieser unkontrollierbaren Eruption von Wut und Trauer moderierend nachgeholfen haben?

Haben Sie schon mal unter Tränen, mit noch heruntergezogenen Mundwinkeln und zusammen-
gebissenen Zähnen, tapfer nach oben gelächelt? Amerikanische Schauspielerinnen müssen das perfekt beherrschen, sonst gibts keine Rolle, das Publikum will das. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Die Mutter des ermordeten kleinen Felix inszeniert sich durch Abwesenheit beim Prozeß. Das ist Stil! Ebenso stilvoll die gut plazierten Fernsehinterviews, in denen die Krankenschwester, verloren ins Weite blickend, ganz spontan, in der schlichten Sprache des Alltags, ihrem Schmerz Ausdruck verleiht. Etwa: "So ist es nun mal. Und jeder Tag will neu gelebt werden." Na ja, ganz spontan eben. Falls es sowas wie spontanen Konsalik-Verschnitt gibt. Voraussichtliches spontanes Erscheinungsdatum Herbst 2005, nein besser noch im Sommer. Man weiß ja nie, was inzwischen passieren könnte!

Ich hab mir schon überlegt, wie die Entwicklung weitergehen könnte, hin zur in puncto Takt, Ge-
schmack und Würde vollends entgrenzten Vermarktung des Rechts am eigenen Leid. Zunächst bietet sich wohl die durch Digital Rights Management beflügelte Auflegung eines zu Herzen gehen-
den DVD-Albums an. Ich hab mir jedenfalls schon mal die Rechte an dem Titel "Oh My Baby, I Miss You So Very" sichern lassen.



Sonnabend, 05.03.05
Der Erdrutsch, der keiner war. Rot-Grün würgt weiter. Wer die wildzerklüftete Bergland-
schaft von Friesland und Dithmarschen kennt, wird verstehen, daß die Schleswig-Holsteiner auch bei ihren Landtagswahlen von Erdrutschsiegen so ihre eigene Vorstellung haben. Immer schön sutsche, ne? Dieser Maxime folgend haben die braven Leute zwischen Waterkant und Ostsee-
strand denn auch die rot-grüne Truppe der Heide Simonis abgestraft, aber ohne sie deshalb gleich in die Wüste schicken zu wollen. Schließlich ist Heide Simonis ja eine politische Sympathieträgerin genau wie diese Gesellschaft sie braucht: Gemacht hat sie eigentlich nix, aber das sehr gefällig. Ohne diesen Schnickschnack-Hutbonus wäre der Anteil der Wähler, die etwa den ökologischen Faxen der Grünenfraktion und ihres beratungsresistenten Umweltministers gern ein Ende gesetzt hätten, sicherlich um den entscheidenden Prozentpunkt größer gewesen. Tja, ut desint viri, tamen est laudanda voluptas, sagte Iphigenie auf Lesbos, und Heide Simonis scheint es - das zu Ändern-
de geändert - mit ihrer etwas peinlichen Bereitschaft zur fortgesetzten Pflichterfüllung im Amte ähnlich zu sehen. Trotzdem sollte man sich - ergänzend zu der recht selektiven medialen Bericht-
erstattung - den Stimmungsumschwung im Lande noch einmal auf der Netzhaut zergehen lassen:

Landtagswahlen in Schleswig-Holstein
Die Zweitstimmen-Mehrheiten im Vergleich

Nimmt man hinzu, daß die Wähler auch bei den Erststimmen ihre Sympathien ähnlich einseitig verteilten, nämlich von den 40 Direktmandaten 25 an die CDU und ganze 15 an die SPD ver-
gaben, dann hinterläßt die aus aus dem ganzen Wahlzirkus resultierende Sitzverteilung ein äußerst ungutes Gefühl. So erfreulich es ist, daß der Wähler seine politische Präferenz auch personalisie-
ren kann, so bedenklich ist es andererseits, daß das Landeswahlgesetz genau diese personalisierte Entscheidung anschließend wieder relativiert. Denn in §3 Abs.4 des Wahlgesetzes kann man's nachlesen:

(4) Die Parteien erhalten so viele Sitze aus den Landeslisten, wie ihnen unter Anrechnung der in den Wahlkreisen für sie gewählten Bewerberinnen und Bewerber an dem verhältnis-
mäßigen Sitzanteil fehlen.


Und das bedeutet, daß für die Mehrheitsverhältnisse im Landtag die Direktmandate eigentlich gar keine Rolle spielen, weil sie ja - normalerweise - gegen die Listenmandate, also die Zweitstimmen der Parteien, verrechnet werden. Das also war des Pudels Kern! Ohne die Konstruktion dieses Wahlgesetzes deshalb gleich schlechtreden zu wollen, muß man doch feststellen: Hier ist der Wäh-
lerwille klar verfälscht worden.

Oder liegt es doch daran, daß der böse SSW hier die Rolle eines Züngleins an der Waage spielen darf, die seit Anbeginn der Bundesrepublik keinem anderen als der FDP zustand? Zum besseren Begreifen dieses Problemaspekts sollte man sich daran erinnern, daß die 5%-Hürde nur ein Arte-
fakt ist, das praktischerweise die kleinen, unbequemen Minderheitsmeinungen gleich im vorparla-
mentarischen Keime erstickt. Daß der Südschleswigsche Wählerverband, wie könnte es anders sein, den politischen Willen nur einer winzigen Klientel ausdrückt, die natürlich an der 5%-Klausel unweigerlich scheitern würde, verpflichtet ihn zu nichts. Die Mandate der SSW-Abgeordneten sind ihnen nicht durch Ausnahmeregelungen geschenkt worden, sondern sie manifestieren eine entspre-
chende Anzahl von Wählerstimmen. Die nachkriegsdeutsche Politik ist bei der Abkehr von den Sünden der wilhelminischen wie der NS-Epoche in vielem weit übers Ziel hinausgeschossen. Die Konzessionen gegenüber der sich zum Dänentum bekennenden Minderheit mit deutschem Paß sind jedoch ein Ausdruck genau der Überwindung nationalstaatlicher Kleinkariertheit, auf die wir mit Recht stolz sind.1) Unsere Partei-Apparatschiks, die sich sonst in Demutsbekundungen und Besserungsgelübden auch noch gegenüber verfolgten Briefmarkensammlern von niemandem über-
treffen lassen, verlieren hier, wo es um die Wurst der Parlamentssitze geht, jegliche Contenance. Schlicht peinlich, das Ganze.

Nun, Wolfgang Kubicki von der schleswig-holsteinischen FDP sprach im Wahlkampf gern von Peter Harry Carstensen als von seinem "dicken, peinlichen Verlobten", was, auch wenn man wie ich für Juristen im allgemeinen, für den Emporschlängling Kubicki im besonderen nicht viel übrig hat, die Sache recht gut traf. Ein Ministerpräsident Carstensen? Also, Landrat oder Kreispräsi-
dent, das könnte man hinnehmen. Aber bereits seine potentielle Kabinettsliste mußte einem eine Gänsehaut verursachen. Man stelle sich einen Klaus Schlie als Innenminister vor. Ich habe den Mann einmal als Moderator einer öffentlichen Diskussion erlebt, wo man sich ernstlich fragte, ob er eigentlich den Unterschied zwischen Dirigentenstab und Kettensäge schon erfaßt hat.

Bleibt schließlich die Verwunderung über die eigenartige Ambivalenz dieses Wählervotums. Die erklärt sich nur zum Teil aus dem numerischen Übergewicht der städtischen Zentren, wo rot-grüne Mehrheiten für den Ausgleich der Verluste auf dem flachen Lande sorgten. Es wäre aber auch denkbar, daß hier bereits ein Begreifen aufdämmert, daß hinsichtlich der großen sozial-ökono-
mischen Fragen, also bundespolitisch, eine sinnvolle Alternative zwischen SPD/Grünen und CDU/FDP gar nicht mehr existiert, weil beide Gruppierungen sich demselben neoliberalen Grund-
konzept verschrieben haben. Mag sein, daß der jetzt erkennbar werdende Umfang der bundes-
weiten parlamentarischen Korruption durch Nebeneinkünfte die Frustrationsschwelle bei den Wählern vorübergehend abgesenkt hat. Das und die parteiübergreifende Schamlosigkeit, mit der die Abstellung des Skandals verweigert wird.

Jedenfalls: Gleichgültig, wieviele ministerpräsidiale und sonstige Profischwafler noch bei Sabine Christiansen & Co. ihre salbungsvollen Betrachtungen ablassen dürfen - die Umfragen sind ein-
deutig: Die Bürger dieser Republik trauen keiner der Systemparteien noch zu, unsere Probleme zu lösen. Wohlgemerkt: Die Leute bezweifeln nicht die Lösbarkeit der Probleme. Was sie bezweifeln, ist die Problemlösungskompetenz der selbstverliebten Parteien-Muschpoke in Berlin und in den Ländern.

So werden wir denn, der blöde Wähler hat es so gewollt, eine weitere Legislatur lang, die Fisi-
matenten einer rot-grünen Landesregierung über uns ergehen lassen: Eine Umweltpolitik, die sich hinsichtlich der alternativen Energien schlicht den vier Grundrechenarten verweigert, die uns dümm-
lich die Schaffung imaginärer Arbeitsplätze vorrechnet, wo doch alles nur am Tropf der Stromsub-
ventionierung hängt; die eine "Natur" schützt, die 1. großenteils gar keine Natur, sondern wuchern-
de Sozialbrache ist und deshalb 2. dem Normalbürger völlig schnuppe ist. Eine Bildungspolitik, die alles ins Auge faßt: Ganztagsschule, Schule ohne Sitzenbleiben, Schulprofile und -programme ohne Ende, Einheitsschule bis zur 19. Klasse, Dialog, Diskurs, Toleranz, kurz, das ganze Programm der progressiven Verblödung; nur Eines nicht: dem faulen und indolenten Schülerpack und seinen ver-
antwortungslosen Eltern schlicht so lange in den Hintern zu treten, bis sie spuren. Ein Anfang wäre schon einmal gemacht, wenn die Gewährung bestimmter Transferzahlungen an den Nachweis eines ordentlichen Hauptschulabschlusses geknüpft würde. Die erkennbare Tendenz geht jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung: Nur die im Augenblick sehr starke Position der Unternehmen dürfte unsere gesellschaftspolitischen Rundumerlöser davon abhalten, auch noch die Bevorzugung von Bewerbern mit Gymnasialabschluß gegenüber Gesamtschulopfern als Diskriminierungstatbestand in ihr tolles Gesetz aufzunehmen.

Aber das wäre ja bei einer schwarz-gelben Koalition der Konzeptlosen auch nicht so gravierend anders gewesen? Ein bißchen schon. Doch was soll's. Irgendwie gibt es eben doch eine höhere Gerechtigkeit. Und die hat für weitere fünf Jahre befunden:


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1) Der Minderheit der Sorben, eines kleinen, in der Lausitz zwischen Brandenburg und Sachsen siedelnden slawischen Völkchens, möchte man wenigstens einen Teil des den Dänen erwiesenen Respekts vor ihrer eth-
nischen Identität wünschen. Mit nur einem Bruchteil der für irgendwelche sinnlosen Gedenkstättenprojekte hinausgeworfenen Finanzmittel könnte man diesen Leuten zumindest den Erhalt des einzigen sorbischen Gymnasiums ermöglichen.


[Mittwoch, 16.02.05
Jahresrückblick 2004: Weiter so - Schröder, GO!
]



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