Flaschenpost vom Narrenschiff

2011

Flugverbotszone durchgesetzt
Wiederauferstanden: Karl-Eduard von Schnitzler
Zwei Komische Personen verpassen den Wechsel ins ernste Fach



Freitag, 25.03.2011
Flugverbotszone durchgesetzt – Panzer bleiben am Boden. Eilmeldung: In letzter Minute konn-
te gestern nacht auch der Start des Marinehafens von Tripolis verhindert werden. Nach zuverlässigen Berichten westlicher Geheimdienste wurden dadurch Pläne des libyschen Machthabers Gaddafi ver-
eitelt, den Krieg gegen sein Volk durch Abwurf von z.B. U-Booten oder Küstenschutzkreuzern aus großer Höhe fortzusetzen.

Damit ist die Einrichtung der Flugverbotszone im libyschen Luftraum praktisch abgeschlossen. Laut Medienberichten sind im Verlauf der alliierten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen nunmehr 154 leichte und schwere Panzer am Abheben dauerhaft gehindert worden. Ebenfalls wurden in hochriskanten Operationen Dutzende von Geschützen, Radar- und Flakstellungen an den Boden genagelt.

Nach bisher unbestätigten Gerüchten wird der Deutsche Verkehrsrichtertag der Bundesregierung vorschlagen, die UNO-Definitionen für Flugverbote sinngemäß auf die deutsche Straßenverkehrsord-
nung anzuwenden. Demnach würden sich Park- und Halteverbote durch die Vernichtung von Fahrzeu-
gen, bei denen die Gefahr der Verbotsübertretung besteht, deutlich wirksamer durchsetzen lassen
als bisher. Eine vorbeugende Eliminierung der Fahrzeughalter wäre eine noch weitergehende Option. Schließlich gehe es um den Schutz von Unschuldigen.

Scherz beiseite: Was ich damit sagen wollte: Wer sich der Redlichkeit seines Anliegens sicher ist, muß nicht zu Lügen und Tatsachenverdrehungen der dreistesten Sorte Zuflucht nehmen. Eine Flug-
verbotszone wird nicht durch Vernichtung der Luftwaffe eines Staates 'eingerichtet', sondern nur durch militärische Intervention im Falle, daß das ausgewählte Opfer (sprich die libysche Führung) seine Flugzeuge eine Red Line überschreiten läßt. Erst recht stellt es eine beispiellose Begriffsverdrehung dar, die Zerstörung von Marineanlagen, Schiffen, Infrastrukturen an Land usw. als Umsetzung eines Flugverbotes zu deklarieren.

Es ist ganz einfach: Wer dermaßen lügt, kann nur im Unrecht sein. Die NATO und insbesondere die Kriegstreiber Frankreich und Großbritannien werden möglicherweise diesen ungleichen Kampf gewin-
nen. Aber nicht immer wird die Geschichte von den Siegern geschrieben.




Dienstag, 29.03.2011
Wiederauferstanden: Karl-Eduard von Schnitzler. Daß die politische Gleichschaltung der Medi-
en funktioniert, das bedarf keiner Diskussion mehr: Spätestens seit der Flutung mit den vorgestanz-
ten, absolut identischen Propagandaphrasen vom "sein eigenes Volk dahinmordenden" Gaddafi wis-
sen wir, was wir von der Qualität deutscher Berichterstattung zu halten haben: Null Information, dafür umso mehr Manipulation  und dümmliche  Emotionalisierung.  Und zwar sowohl bei den  Öffentlich-Rechtlichen als auch bei den privaten Trashmedien.

Der nächste Schritt war, daß uns der Angriffskrieg gegen den libyschen Staat auch dann noch als humanitäre Intervention "zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung" verkauft wurde, als es unüber-
sehbar wurde, daß die Zielsetzung eine völlig andere war: Die Enthauptung des Staates Libyen.
Auch hier wieder, quer durch die Medien, diese verräterische Übereinstimmung im Wortlaut. Die erfolgreiche Verblödung des werten Publikums zeigt sich daran, daß praktisch niemand die Frage aufgeworfen hat,

1. inwiefern ein brutaler Vernichtungsschlag gegen das militärische Potential und die gesamte Infra-
struktur eines Landes so ausdauernd als "Flugverbotszone" deklariert werden kann, ohne daß einem deutschen Nachrichtensprecher oder Kommentator die Schamröte ins Gesicht steigt, solchen drei-
sten Betrug zu verbreiten, und

2. warum,  wenn es doch  um den Schutz der Menschen geht,  die Möglichkeiten  einer wirklichen, eventuell von Blauhelmen garantierten Schutzzone um die angeblich bedrohten Städte überhaupt
nicht in Erwägung gezogen wurden und werden. Denn das wäre die vernünftigste und redlichste Op-
tion gewesen, der wohl auch die deutsche Bundesregierung zugestimmt hätte:

Eine UN-mandatierte, notfalls (notfalls!) mit Waffengewalt erzwungene Schutzzone von z.B. 20 km
um die gefährdeten Gebiete herum.


Das wäre zwar völkerrechtlich noch immer auf eine Verletzung der Souveränitätsrechte eines Staa-
tes hinausgelaufen. Aber da – wie der russische Außenminister Lawrow ganz richtig sagt – der An-
griff auf Libyen ohnehin von keinem UN-Mandat gedeckt ist, wäre das auch ohne Zustimmung des korrupten UNO-Vereins das kleinere Übel zur Verhinderung eines (angeblichen) Massakers gewesen.

Nächster Schritt: Seit drei Tagen werden wir mit immer denselben Bildern von einer angeblich miß-
handelten Libyerin zugesch...leimt. Wie abgestumpft ist dieses Publikum, daß es nicht mit einem kollektiven Wutausbruch auf eine derartig freche Manipulation über die Bilder reagiert? Es geht nicht um die Frage, ob es stimmt; es geht um die geradezu unverschämte Anwendung von Hitlers Geheim-
tip: Den Verstand bei den Leuten mittels Greuelmärchen ausschalten. Und wiederholen, bis sie den Mist glauben. Wozu die Wiederholungen? Ich habe die Szene bereits siebenmal wegzappen müssen. Sogar die Jüngeren mit dem Gesamtschulhorizont wissen doch über die Untaten des Reichsminis-
ters für Propaganda und Volksaufklärung oder den Herrn des Schwarzen Kanals zumindest das Wort "Lügen" zu stammeln. Und die Älteren, die ohne Unterlaß davon faseln, wie sehr wir doch aus der Vergangenheit gelernt haben?

Vorläufig letzter Schritt: Plötzlich hat der Raketen- und Bombenterror der Alliierten "Wirkungen", und zwar zerstörte Häuser und Krankenhäuser am Rande ihrer Kapazität. Nicht etwa Tote und Verletzte, sondern ein Krankenhausproblem.
Wenn es um die Opfer dieser Angriffe geht, müssen wir wohl in den kommenden Wochen mit einer alarmierenden Zunahme von technischen Defekten und Übertragungsfehlern bei der Berichterstattung rechnen...?

Welcome back, Karl-Eduard, du hast nicht umsonst gelebt!


Dienstag, 30.08.2011.
Zwei Komische Personen verpassen den Wechsel ins ernste Fach:  Deutschland sagt "Äh-
weiß-nicht so-recht" im Sicherheitsrat
. Es war unweit von Libyen, wo nun ein merkwürdiger Dik-
tator mit seinem abwesenden Blick, der nichts mehr festhalten kann, seine Visionen und die Realität der zusammenbrechenden Herrschaft vergeblich zu synchronisieren sucht, und es liegt auch schon etwas zurück: Da pflegte die Stadt Rom, das Zentrum der Welt, ihren siegreichen Feldherren zur Be-
lohnung eine großartige Siegesparade ihrer Truppen in der Stadt zu bewilligen. Mitten im frenetischen Jubel der Massen freilich soll bei dem Triumphator ein Sklave auf dem currus triumphalis gestanden haben, um ihm ab und zu ins Ohr zu raunen: "Memento mori!" – bedenke, auch du bist nur ein Sterb-
licher. Dem Triumphknirps Sarkozy müßte einer zuraunen: Bedenke, oh Feldherr, den Intelligenzquo-
tienten all derer, die euren Sieg bejubeln!

Auch wenn zum Zeitpunkt der Libyen-Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat viele Außenstehende sich noch gar nicht im klaren gewesen sein dürften, wie abenteuerlich die interpretatorischen Spielräume eines Terminus wie "Flugverbotszone" sein können, wenn sich die richtigen Leute der Sache anneh-
men – eines war doch von vornherein ausgemacht: Der einseitige Schutz der libyschen Aufständi-
schen würde den Fuß in die Tür der staatlichen Souveränität Libyens drücken und früher oder später zu dem gewünschten Sturz des Regimes Gaddafi führen. Als legitimatorische Basis für derlei imperi-
alistische Hilfeleistung nach Gutsherrenart hat sich, fast unbemerkt, eine interessante Modifikation in das etablierte Völkerrecht eingeschlichen: die Ideologie des "demokratischen Interventionismus", der-
zufolge die "Völkergemeinschaft" berechtigt, ja verpflichtet ist, in Notfällen in die inneren Belange von Staaten einzugreifen. Bis vor kurzem herrschte weitgehend Übereinkunft, daß darunter nur schwerste Menschenrechtsverletzungen, etwa Genozide, zu verstehen sind. Doch schon seit 1999, seit dem unsäglichen stereotypen Geschwätz des damaligen deutschen Verteidigungsministers Scharping von einer 'humanitären Katastrophe' im Kosovo zeichnete sich eine Umdefinition dieses Notfallbegriffs ab, hin zu einer weder rational noch durch verbrieftes internationales Recht begründbaren Beliebigkeit.

Im Zusammenhang mit  einer Dokumentation des  WDR über  die Inszenierung des Kosovokrieges
durch die NATO, "Es begann mit einer Lüge", schrieb damals z.B. die AG Friedensforschung auf ih-
rem gleichnamigen Website durchaus hellseherisch:

>> Scharpings Lügen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Jornalisten werden sich fragen müssen, wa-
rum sie damals dieses Spiel mitspielten, warum der Großteil der Kolleginnen und Kollegen in den Zeitungs- und sonstigen Medienredaktionen mit den Wölfen geheult hat. Erst wenn diese Fragen diskutiert und beantwortet werden, kann künftiges Fehlverhalten – vielleicht – vermieden werden. Die ARD-Dokumentation sollte jedenfalls allen zu denken geben. <<

Hat sie nicht. Was ein Genozid ist, ist seitdem mehr und mehr eine Frage der medial flankierten De-
finitionshoheit von Regierungen und Bündnissen geworden. An die Stelle des etablierten Völkerrechts treten zunehmend bloße Verabredungen zwischen den Akteuren, die – Grüße von Orwells Wahrheits-
ministerium – den Tatbestand 'Genozid', wenn die empirischen Daten nicht ausreichen, einfach dreist als gegeben festsetzen. Besser noch: Die Verbrechen brauchen gar nicht stattzufinden; es genügt, wenn sie "zu befürchten" sind. Und wenn wir schon dabei sind: Nehmen wir doch den berechtigten Kampf der Völker um mehr Demokratie, sofern sich nur ein paar 'demokratisch' rebellierende Idioten vorzeigen lassen, auch gleich in den Katalog der interventionsbegründenden Tatbestände auf!

Es muß den mit der Historie einigermaßen vertrauten Betrachter mit nacktem Entsetzen erfüllen, wie jetzt eine von demokratischem Sendungsbewußtsein erfüllte Schar von Zauberlehrlingen eines der zentralen Prinzipien, auf denen die internationale Friedensordnung beruhte, in dümmlicher Anmaßung über den Haufen wirft: das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten.

Wir müssen nicht bis in die Zeiten des Investiturstreits zurückgehen, wo König und Papst sich gegen-
seitig absetzten, das Paradox dann aber nur durch Herbeiziehung fremder Mächte aufgelöst werden konnte. Eindringlicher und nachhaltiger waren die Lehren aus dem 30jährigen Krieg, mit seinen Millio-
nen Toten, hingeschlachtet in den Machtspielen der europäischen Potentaten, die alle bestimmen wollten, wer im Deutschen Reich regieren sollte. Die Französische Revolution mag als paradoxales Beispiel zweier gegensätzlicher völkerrechtlicher Paradigmen dienen: Einmal die Idee, den nach Frei-
heit strebenden Völkern bei der Beseitigung der "Tyrannen" zu helfen, sei legitim, ja Pflicht. Andererseits die vom Begriff der Volkssouveränität nicht zu trennende Vorstellung der souveränen Na-
tion, deren Selbstbestimmungsrecht weder von innen noch von außen tangiert werden durfte. Halten wir fest: Das zweite Prinzip ist formaler Natur, an politische Inhalte nicht gebunden; das erste hinge-
gen setzt die Gewißheit voraus, die eigene politische Ideologie sei die "richtige", "wahre" und legiti-
miere die Parteinahme und das aktive Eingreifen in die inneren Konflikte anderer Völker. Totalitaris-
mus soft also, nichts weiter. Wer Kants Schrift "Zum ewigen Frieden" gerade nicht zur Hand hat, dem seien die Analysen des renommierten Völkerrechtlers Reinhard Merkel empfohlen, etwa der brillante Aufsatz "Die Militärintervention gegen Gaddafi ist illegitim" (FAZ vom 23. März 2011).

Den überzeugten Vertreter einer notfalls mit Gewalt von außen zu instaurierenden, durch mass media und Neoliberalismus verfeinerten 'demokratischen Ordnung' werden solche Exkurse in die Gefilde des gesunden Menschenverstandes nicht beirren. Natürlich muß eine Intervention demokratisch legitimiert sein. Deshalb muß man natürlich die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts richtig interpretieren: Hitlers Intervention im spanischen Bürgerkrieg, die Einrichtung des Protektorats Böhmen-Mähren, das war selbstverständlich grundfalsch, ja verwerflich. Ebenso die Schaffung von Stalins Satellitenimperium. Sowas darf schließlich nicht jeder. Die NATO darf natürlich.

Nur, was ist, wenn zwei ideologische Lager jeweils auf diametralen Seiten in einen Konflikt eingreifen, jede selbstverständlich im Vollbesitz der Legitimität? Korea, Vietnamkrieg? Zwei Fälle, in denen die Ideologie der Intervention "auf der richtigen Seite" an ihre intellektuelle Grenze stößt. Oder anders gesagt: Zwei Fälle von Stellvertreterkriegen, die den heute international agierenden Dummchen mit ihrer Milchmädchenlogik vom legitimen "demokratischen Interventionismus" eigentlich eine Warnung hätten sein müssen: Nicht mit dem Feuer spielen!

Ja, aber was ist denn nun mit den unzähligen Toten, die es ohne Eingreifen der "Völkergemeinschaft" unweigerlich gegeben hätte, Blutbäder in Benghasi und Misrata zum Beispiel? Muß man da nicht eingreifen? Gegenfrage: Wie unweigerlich ist unweigerlich? Wie unzählig ist unzählig? Selbst ein psychisch erheblich aus der Kurve getragener Despot wie Gaddafi massakriert nicht einfach die gan-
ze Bevölkerung einer eigenen Stadt. Der Schlüssel zum Verständnis liegt in diesen, so plump in der Medienagitation immer wieder lancierten Stereotypen wie "greift das eigene Volk an" oder "plant ein Blutbad in der eigenen Bevölkerung". Was hier ganz methodisch von einer absolut freiwillig 'embed-
deten' Medienmafia ausgeblendet wird, ist die Tatsache, daß die angeblich bedrohten Städte nicht "Rebellenstädte" sind, sondern Städte in Rebellenhand. Die politischen Demonstrationen, Aufmär-
sche usw. in den "Rebellenstädten" sagen alles Mögliche über die mobilisierten Massen aus, nur
nicht über ihre Gesinnung, ihre Haltung zum Gaddafiregime oder den aktuellen lokalen Befreiern, de-
nen mit der Kalaschnikow an der Hüfte. Eine nennenswerte Solidarisierung der von Rebellen kontrol-
lierten Bevölkerungen mit der Rebellion ist zu keinem Zeitpunkt glaubhaft dokumentiert worden. Das war die erste große Lüge der westlichen "Berichterstattung" über diesen Konflikt.

Die zweite Lüge war die durch getürkte, endlos wiederholte Greuelberichte in den Vordergrund ge-
schobene Begründung, die Intervention sei aus humanitären Gründen (zu befürchtende Massenver-
brechen) erforderlich. Nur nach und nach wurde, parallel zur Ausweitung der westlichen Bombardie-
rungen, zugegeben, daß nicht die Bevölkerungen einiger Küstenstädte vor angeblichen Massakern geschützt werden sollen, sondern daß die militärische und politische Vernichtung des Regimes das Ziel ist. Selbst der durchschnittliche Fernsehzuschauer mit dem zweistelligen IQ wird irgendwann stutzig angesichts der militärischen Wucht, mit der das bescheidene taktische Ziel 'Flugverbot' durch-
gesetzt wird; die strategische Dimension wird erahnbar, aber wenn's nun mal nicht anders geht, nicht wahr ...

Eigentlich hätte es sich sogar bis in die unbedarften Reihen der deutschen Politik herumsprechen müssen, daß der völkerrechtlich anerkannte Ausnahmetatbestand des Völkermords in Libyen auch beim allerbesten Willen nicht auszumachen war. Von daher, sach-ich-ma, muß die Tatsache, daß
da in Wirklichkeit nur ein von einem Halbverrückten regierter, dennoch geradezu vorbildlicher afrika-
nischer Sozialstaat von kriminellen Unruhestiftern in den Bürgerkrieg getrieben wurde, gefällig in eine Notwehrsituation der libyschen Bevölkerung umgedeutet werden. Daß da vielleicht ein neokolonialer Zugriff auf die knapper werdenden Ressourcen des Kontinents im Gange ist, übergeht man am bes-
ten ganz.

So weit, so gut. Der Fortgang der Ereignisse seit März gibt jedoch der deutschen Haltung bei der Abstimmung des Sicherheitsrates über 1973 eine ganz besondere Bedeutung. Die Medien verharm-
losten mit dem Ausdruck "Flugverbotszone"; der Text wirbt aber schon mit der Formulierung "... so-
wie alle zum Schutz der Zivilbevölkerung notwendigen Maßnahmen ..." für einen erweiterten Philan-
thropiebegriff. Würden die Deutschen in die wohlformulierte Mausefalle tappen? Dann die – für die Beteiligten wohl nicht ganz überraschende – Volte der Deutschen, die Enthaltung, diese unverzeih-
liche Verweigerung westlicher Solidarität! Die bei den Amerikanern seit je und zu Recht als krieche-
risch wahrgenommenen Deutschen, neulich doch erst Vorreiter beim Angriffskrieg gegen Serbien, zucken plötzlich zurück. Schon zum zweiten Mal nach dem Angriff auf den Irak.

Für die Erklärung werden wir wohl auf die Lebenserinnerungen einiger deutscher Politiker warten müssen. Ein plausibler Erklärungsansatz wäre vorläufig: Es muß, es kann nur irgendwo im Kabinett ein rudimentäres Bewußtsein der Verlogenheit und Unrechtmäßigkeit dieser "Resolution 1973" gewe-
sen sein, eine Mentalreservation, die mit absoluter Sicherheit nicht den primitiven macchiavellisti-
schen Gehirnwindungen einer Angela Merkel entstammt, sondern wohl eher koalitionsinternen Wider-
ständen geschuldet ist. Hut ab vor den (FDP?)-Politikern, die es uns erspart haben, uns auch noch
für eine direkte Beteiligung an diesem beschämenden Akt eines humanitär verbrämten Angriffskrie-
ges schämen zu müssen.

Mit ihrer Verweigerung im Sicherheitsrat hatten Pat und Patachon, wollte sagen: Merkel und Wester-
welle kurz zu einer wahrhaft welthistorischen Geste ausgeholt: Einige Tage lang schwebte die Dro-
hung im Raum, die Deutschen könnten den "Friedensorganisationen" NATO und UNO die verlogene Tapete herunterreißen und das, was dahinter zum Vorschein kommt, öffentlich beim Namen nennen: Die westliche "Werte- und Verteidigungsgemeinschaft" verkommt zusehends zu einer mafiosen Or-
ganisation zur skrupellosen imperialistischen Macht- und Ressourcensicherung. Für einen welthistori-
schen Moment deutete sich erstmals die Möglichkeit einer Spaltung an, die Möglichkeit, daß erste Mitglieder die angemutete Bündnispflicht ethisch und vertragsrechtlich hinterfragen und der NATO die Gefolgschaft verweigern könnten.

Aber gottseidank haben beide, Merkel wie Westerwelle, noch rechtzeitig bemerkt, daß sie nicht im Zeichen des Löwen geboren sind, sondern ihre Wurzeln wohl mehr bei den Kriechpflanzen haben. Natürlich sind wir nicht direkt dagegen, auch wenn wir beinahe nicht dafür gewesen wären. Und ob
ein angestrebter Regimewechsel in einem afrikanischen Staat tatsächlich den casus foederis dar-
stellt, mögen doch lieber andere befinden. Deutschland knickte schlicht ein und verpaßte die Chan-
ce, wenigstens einmal auf der weltpolitischen Bühne als Akteur, nicht nur als Statist, wahrgenom-
men zu werden.

Wäre die Bundesrüschenbluse nicht die prinzipienlose Taktiererin, die sie ist, ohne wirkliches Begrei-
fen der Zusammenhänge, dann hätte sie ihren Außenminister jetzt nicht mit einer an Verlogenheit nicht zu überbietenden "Solidaritätsbekundung" im Regen stehen lassen. Doch wieder einmal duckt sie sich weg.

Wäre der Politkasper Westerwelle nicht der, der er ist, würde er jetzt nicht opportunistisch die einmal eingenommene, in der Sache so ehrenhafte Position räumen und würdelos um letzte Zipfelchen von parteipolitischer Machtteilhabe, um den Platz am innenpolitischen Katzentisch feilschen. Es war der Moment, wo die komische Nudel Westerwelle wenigstens einmal im Leben ins ernste Fach hinüber-
wechseln konnte: Angesichts der Zumutung einer peinlichen Distanzierung von der Distanzierung (Wir haben natürlich mit unseren Sanktionen auch zum Sieg beigetragen!) schlicht zurückzutreten mit einem Eklat, der Lafontaine erblassen ließe. Deutlich auszusprechen, was viele schon ahnen: Die deutsche Enthaltung war richtig! Wo es um die Beteiligung an kriminellen Revierkämpfen geht, sollte man das Wort Bündnistreue nicht in den Mund nehmen, und kein redlicher deutscher Außenminister darf sich an solchen betrügerischen Sprachregelungen beteiligen.

Rücktritt als Befreiung: Eine solche Flucht nach vorn, die Zwänge und heuchlerischen Rücksichten des Amtes selbstherrlich abzuwerfen und den Drahtziehern des NATO-Imperialismus höflich, aber un-
mißverständlich die Wahrheit zu sagen, das hätte dem glücklosen Minister eine gewisse Bedeutung post festum gesichert:

Es wäre schon bald als ein prophetisches Schlaglicht (ein Menetekel?) auf die kommenden bösen Entwicklungen erkannt worden. Denn vor dem Hintergrund der infantilen Befriedigung der bewußtlo-
sen Masse über den belanglosen Sturz eines belanglosen Diktators und der glücklich vermiedenen deutschen "Isolierung" (wen schert die eigentlich?) wird gerade sichtbar, wie wenig Zeit und Spiel-
raum uns noch bleibt, den Kurs des Schiffes "NATO" zu ändern oder auszusteigen.

Aber mit dem Berliner Personal ist solche gewichtige Metapher eindeutig realitätsfern. Da paßt doch wohl besser die Kaffeefahrt mit anschließendem Kauf von Rheumadecken.


Nach oben  | Zurück