Flaschenpost vom Narrenschiff 2012 Sonntag, 25. November 2012. US-Außenministerin Hillary Clinton äußerte ihre "Entrüstung" darüber, dass aus Syrien über die Grenze geschossen worden sei. "Wir bedauern den Verlust von Menschenleben auf der türkischen Seite", sagte Clinton. Den Verlust von siebenmal mehr syrischen Menschenleben fand sie weniger erschütternd. Donnerstag, 16.08.2012 Auf dem Wege nach Damaskus. Seit vielen Jahren gehört bei uns die allmorgendliche Lektüre "un- serer" Regionalzeitung zum Tagesritual. Meine Frau blättert zielstrebig sofort zum interessantesten Teil der "Bergedorfer Zeitung/Lauenburgische Landeszeitung", den Todes- und Familienanzeigen. "Mal sehen, ob ich schon gestorben bin", sagt sie. Und ich, obwohl ich doch aus den ZDF-Textsei- ten des Vortages schon genau weiß, was im politischen Teil stehen wird, tue so, als ob ich ein dem Springerkonzern einverleibtes und seitdem konzernintern gleichgeschaltetes Regionalblättchen als Nachrichtenmedium ernst nähme und überfliege Seite eins bis drei des überall gleichen Mantelteils. Immerhin vor ein paar Tagen verirrte sich eine lokale Begebenheit mit internationalen Weiterungen bis auf die Titelseite besagten Blattes: "Sie wollen Syriens Zukunft mitgestalten", durfte die Lo- kalredaktion titeln: Ein seit Jahrzehnten in Deutschland lebendes syrisches Ehepaar kündigte seine feste Absicht an, in die Heimat zurückzukehren, und zwar gleich nach Damaskus, ins Zentrum des Bösen also. Man kommt nicht umhin, dem Mut und dem Patriotismus des Ehepaares, in der jetzigen verworrenen Sitation nach Damaskus zurückzukehren, Bewunderung zu zollen. Zumindest dann, wenn die hero- ische, aber verbale Botschaft irgendwann durch Taten glaubhaft besiegelt werden sollte. Bis dahin stellen sich mir jedoch ein paar Fragen. Als vorschriftsmäßig von den deutschen Medien gehirngewa- schenem Bürger ist es mir seit der 'objektiven' Aufklärung, wie sie schon den Angriffskrieg gegen den Staat Libyen begleitete und jetzt die Ereignisse in Syrien verstehbar macht, zur Gewißheit geworden, daß skrupellose 'Machthaber' wie Gaddafi oder Assad aus purer Mordlust "auf ihr eigenes Volk schießen lassen", täglich, grundlos, im Akkord. Konnte man im Falle Gaddafi noch die notwendige Naivität vorausgesetzt darüber nachsinnen, ob der größenwahnsinnige Erlöser es diesmal vielleicht doch ernster meinte als seinerzeit mit der Ankündigung, die Schweiz von der Landkarte zu löschen, so liegen die Dinge bei Baschar al Assad doch etwas anders. Ein Unterschied mag z.B. sein, daß, im Gegensatz zu dem exhibitionistischen, von periodischen pathologischen Selbstdarstellungszwän- gen gesteuerten Gaddafi, Assad eine nicht weniger beunruhigende Kommunikationsunfähigkeit kulti- viert, in der sich Arroganz, persönliche Introvertiertheit und eine nicht unbegründete Einkreisungsneu- rose gegenseitig verstärken mögen. Natürlich ist auch Assads Staat eine typische arabische „Führerdemokratie”, d.h. eine gemäßigte Diktatur, ebenso wie diejenige Gaddafis ein Versuch, über den komplizierten Stammes- und religiö- sen Strukturen so etwas wie einen modernen Staat aufzusetzen. Und natürlich gehört es zum Per- sonenkult um den Führer, daß Proteste oder Demonstrationen gegen das Regime vollkommen über- flüssig und daher möglichst zu unterbinden sind. Die ausgesprochen hemdsärmeligen Repressions- techniken, im Fall des Falles, sind übrigens (denken wir an die Anfänge der APO-Bewegung in der Bundesrepublik) kein arabisches Privileg. Da die Bevölkerungen solcher Staaten sich jahrzehntelang ohne Probleme mit diesen Verhältnissen arrangiert haben, ist die Frage zu stellen, warum sie das ausgerechnet Anfang 2011 nicht mehr taten. Oder genauer: welche Teile "der Bevölkerung" das in auffälliger Synchronizität mit den Ereignissen des "arabischen Frühlings" ändern wollten. Denn eines kann man heute schon mit Sicherheit feststellen: Die syrischen Protestveranstaltungen waren genau- so wenig spontane, massenhafte Ausbrüche von Volkszorn wie die in Libyen oder Ägypten. Hier wur- de zielstrebig eine Eskalation der Ereignisse in den bewaffneten Konflikt hinein inszeniert, und die treibenden Kräfte lassen sich ganz analog eingrenzen: Rabatzgeiler Facebook- und Straßenpöbel einerseits, zielstrebig agitierende islamische Fundamentalistengruppen andererseits. Die Fernsehbe- richte versuchten noch monatelang in bewährter Manier, friedlich protestierende Menschenmassen zu zeigen, die Bilder zeigen aber überwiegend eine neue Variante der Intifada: ein paar hundert stei- newerfende, überwiegend jugendliche Nichtsnutze. Den schwerbewaffneten, militanten Arm dieser friedlichen Montagsmarschierer und seine verbrecherische Inszenierung des Bürgerkrieges hat das deutsche Fernsehen noch ein Jahr lang verschämt unterschlagen, bis die Lüge von der durch Regie- rungstruppen grundlos massakrierten Zivilbevölkerung allzu durchsichtig wurde. Sodann stellt sich die Frage, wieso eine gut ausgerüstete Armee mit ein paar tausend schießwüti- gen Chaoten nicht in drei Wochen fertig wurde. Obwohl bereits im Sommer 2011 klar war, daß die Aufständischen reichlich Waffen aus dem Ausland (der Türkei) erhielten, liefert diese Tatsache allein keine vernünftige Erklärung. Und auch eine inkompetente und unzuverlässige militärische Führung (kein Wunder in einem System, wo Führungspositionen nicht nach Fähigkeiten, sondern nach einer komplizierten Clan- und Cliquenarithmetik besetzt werden) reicht als Erklärung nicht aus. Nein, es ist die simple Tatsache, daß das, was uns unaufhörlich als sinnlose Massaker der Assadtrup- pen "an der eigenen Zivilbevölkerung" verkauft wurde und wird, in Wahrheit der hilflose Versuch einer regulären Armee ist, einen Feind zu bekämpfen, der sich feige und men- schenverachtend in ganzen Stadtvierteln hinter und inmitten der als Geiseln genommenen Zivilbevölkerung versteckt und aus dieser Position ohne Kollateralschäden in der Bevölke- rung kaum zu vertreiben ist. Daß die Bevölkerung der großen Städte (von Aleppo einmal abgese- hen, wo alte Feindschaften noch schwelten) mit den Aufständischen sympathisiert hätte, ist ein Ge- rücht, eines von vielen, welche der kreative arabische Wahrheitsbegriff und der westliche Bedarf an Zwecklügen täglich hervorbringen. Schließlich waren es die Städte, die von dem bescheidenen öko- nomischen Aufschwung in Syrien profitiert hatten, wärend die konservative Landbevölkerung leer aus- ging. Kommen wir nun zurück zum Vordergründigen: zu der Frage, welche Todessehnsucht um Himmels Willen syrische Bürger aus den sicheren Gefilden der Hansestadt Hamburg in das gefährliche Damas- kus treibt. Da bietet es sich schon an, für einen Augenblick die goebbelsmäßig vorgestanzten, kaum variierten medialen 'Verständnishilfen', welche dem dankbaren Bürger im Stundentakt verabreicht werden, beiseitezuschieben. Beiseitezuschieben die suggestiven (aber auffallend oft aus dem Archiv geholten) Bilder von blutbespritzten Hauswänden, Rauchwolken über der Stadt oder auch verletzten und toten Menschen, die uns ohne die Spur eines Beweise suggerieren sollen, sie dokumentierten Verbrechen der Regierungstruppen. Da sollte man schon den Mut haben zu fragen: WER hat die Ver- brechen wirklich begangen? WER war verantwortlich für die Kampfhandlungen? Oder gar: ist ein Zivi- list mit Bazooka eigentlich noch ein Zivilist? Überflüssige, ja politisch inkorrekte Fragen. Denn bei all den Entsetzlichkeiten ist doch eines völlig klar: Baschar was here! Wirklich? Im Gegensatz zu der ganzen, dreisten Verdummungskampagnen der Medien und der deut- schen Politiker wirft der obenerwähnte Zeitungsartikel ein ganz anderes Schlaglicht auf die Szene: Das syrische Ehepaar kann nach Damaskus gehen, weil die Aufständischen dort nur mit brutalen, aber örtlich begrenzten Terroraktionen in Erscheinung treten. (Würden sie das tun, wenn sie die Be- 'völkerung auf ihrer Seite wüßten? Die Bombenanschläge machen einmal mehr deutlich, wer Morde an der Zivilbevölkerung begeht.) Wo die Regierung die Kontrolle hat wie in Damaskus, da ist der Bür- ger ungefährdet. Und die Bevölkerung hat nicht Angst vor den Regierungstruppen, sondern vor dem Terror, egal, wer ihn veranstaltet. Und diesen Terror, mit allen Folgen, hat die Opposition in die Städte getragen, nicht Assad. Was war und ist eigentlich so wichtig an einem Regimewechsel in einem arabischen Staat, daß die westliche (deutsche) Politik jede Vernunft, jeden menschlichen Anstand vergißt, um ein Regime zu stürzen, das uns herzlich gleichgültig sein kann? Sollten das eingekreiste faschistische Israel und seine Verbündeten wirklich so kurzsichtig sein, sich davon eine Entlastung auf längere Sicht zu ver- sprechen? Auf jeden Fall bilden die westlichen Taten einen auffälligen Kontrast zu den hehren Be- gründungen. Die seit Anfang 2011 mit merkwürdiger Eile verhängten, umfassenden Handelsembar- gos gegen den seine-eigene-Bevölkerung-mordenden Baschar al Assad sind nicht nur ein im Grunde völkerrechtswidriger weil unprovozierter Angriff auf die Wirtschaft eines Landes; sie tun vor allem das, was dem Diktator vorgeworfen wird: Sie treffen die Zivilbevölkerung und kosten letztlich Menschenle- ben. Es illustriert die ungeheure Macht der Bilder und die Wirksamkeit eines gleichgeschalteten Me- dienapparates, daß die Masse der deutschen Bevölkerung sich die geradezu psychotische Hetze gegen ein bestimmtes Regime apathisch konsumierend gefallen läßt. Und ebenso, daß in den Krei- sen der Journalisten null Zivilcourage existiert, sich dieser in ihrer Durchsichtigkeit nur noch peinli- chen Lügenkampagne zu verweigern. Erstaunlich, wie gut diese deutsche Variante von embedded journalism funktioniert ohne daß einem einzigen deutschen Journalisten dabei die Schamröte ins Gesicht steigt. Ich habe nicht die geringste Sympathie für Assad und sein Regime. Aber noch weniger für die krimi- nellen, brutalen Banden von politischen Hasardeuren, Dummköpfen und Fanatikern, die in die Städte einsickern, die wehrlose Zivilbevölkerung als Geisel und lebenden Schutzschild gegen den Gegner benutzen und dann lauthals nach Flugverbotszonen rufen. Und wenn dann eine deutsche Außenpoli- tik auf Gartenzwergniveau den Alleinschuldigen Assad so zuverlässig identifiziert und vor ein interna- tionales Gericht stellen will, beneidet man die Politiker, weil der liebe Gott ihnen dieses wundervolle, unkomplizierte Unterscheidungsvermögen zwischen Guten und Bösen verliehen hat, das uns gewöhn- lichen Intellektuellen verwehrt ist. Denn zu solch einer deutschen Außenpolitik muß man dann wirk- lich schon dieses Weltbild mit den ganz, ganz einfachen Wahrheiten haben. So ähnlich wie George .W.Bush es vorlebte. God bless you, Germany. Montag, 16.07.2012. Thor Steinar und die Gefährdungen der Demokratie, besonders in Sachsen. In dem kleinen südholsteinischen Ort Glinde, ganz in meiner Nähe, gibt es eine Art Boutique, in der man sich dem Vernehmen nach mit hochbrisanten Utensilien zu subversiven Zwecken eindecken kann. Modische Klamotten der Marke Thor Steinar, die bekanntlich mit dem Schwefelgeruch des Nationalsozialisti- schen Untergrundes NSU imprägniert sind, finden von hier aus den Weg in die ganze Welt, na ja, aber in mindestens zwei Fällen bis aufs andere Elbufer bis nach Tespe. Man wird sich der Frage stel- len müssen, was denn nun hinter diesem gefährlichen Modekult steckt. Also "rechts" ist er allemal! Nur, wieso konnte dieses Label sich in wenigen Jahren sozusagen als identitätsstiftende Requisite mit außerordentlichem Wiederkennungswert in der gesamten "rechten", also völkisch-nationalen Szene etablieren? Den Ursprung bildet vermutlich, daß ein Name wie "Thor Steinar" zwangsläufig "nordische" Assozia- tionen auslöst, also anders als René Lacostes ideologisch harmloses Krokodil eine Message zu transportieren scheint: Nordisch ist schön. Ja, und was noch? Eigentlich nichts, was diesem Begriff inhärent wäre; niemand muß dabei an rassische Überlegenheit, kulturelle Reinheit denken. Oder an "Das Erbe von Björndal" als nostalgische Chiffre für eben die heile Welt des bodenständig-bäuerli- chen Germanentums. Das ändert sich, sobald und das ist der zweite Schritt ein gewisser Zusammenhang zwischen den T-Shirts mit den gotischen Schriftzügen und der politisch-ideologischen Polung ihrer Träger of- fensichtlich wird. Praktisch synchron dazu entwickelt sich der spontane Widerwille bei all denen, die sofort instinktsicher das auffällige Fehlen des vertrauten multikulturellen Moschusdufts oder der anti- faschistischen Buttersäure bemerken und sogleich den lautstark keifenden bzw. verkniffen mobben- den Gegenpol bilden. Und schon ist aus dem harmlosen Modegag mit einem skandinavischen Na- menszug die Flagge geworden, die man zeigt bzw. bei deren Anblick man politisch korrekt ausrastet. Um den Vorgang zu verstehen, sollte man sich vielleicht die Verbotspraxis der bundesrepublikani- schen Demokratie vergegenwärtigen. Diese ist mit einem gewissen inneren Widerspruch belastet: Man kann die allgemeine Freiheit nicht sichern, ohne die Freiheit bestimmter Gruppen (ihrer Feinde) zu beschneiden. Das kann man ehrlich im Rahmen einer systematisch korrekten Definition formaler Kriterien tun, wann die Prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verletzt werden. Oder, auch ehrlich-totalitär, durch Benennung politischer Inhalte, die nicht geduldet werden können (Die DDR-Verfassungen definierten ganz konkret alle Bestrebungen gegen die sozialistische Grund- ordnung als verfassungswidrig). Oder wie bei uns: mit einem schlicht verlogenen Grundgesetzartikel 5, in dem in Absatz (1) die Frei- heiten gar zierlich aufgelistet und garantiert, leider aber in Absatz (2) wieder kassiert werden: "(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzli- chen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre". Schon erstaunlich, ein allgemeines Gesetz (notfalls sogar nur ein höchstinstanzliches Gerichtsurteil, das den Begriff 'allgemein' zielführend umdefiniert) reicht also völlig aus, um das Grundrecht der freien Meinungsäußerung den Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag anzupassen. Kein Wunder, daß der Volksverhetzungsparagraph 130 StGB im Grunde nichts weiter ist als eine Replik des ent- sprechenden Naziparagraphen mit umgedrehtem Vorzeichen. Und was für eine feine Sache, daß scharfer Juristenverstand nach Belieben bestimmen kann, was "den öffentlichen Frieden stört" und was nicht ... In Wahrheit wird hier also der 'allgemeine' gesetzliche Rahmen so abgesteckt, daß der staatliche Machtapparat nicht nur zum Schutz der Bürgerfreiheit dient, sondern zur Abschirmung bestimmter ideologischer Positionen gegen konkurrierende Auffassungen mißbraucht wird. Dazu sagte unlängst der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hasse- mer im Deutschlandfunk: "Die Gegner der Freiheit, solange sie nur ihren Mund aufmachen, meine ich, müssten durch einen Diskurs der Gesellschaft bedient werden, wenn es irgendwie ginge, und eben nicht durch das Straf- recht. Es geht nur darum, dass es Meinungsäußerungen sind." Noch nicht einmal bis zu dieser begrenzten Einsicht in das Problem haben es seine amtierenden Kol- legen gebracht. Einer alten Tradition höchstrichterlicher Rechtsbeugung folgend, entschieden sie, daß der Allgemeinheitsvorbehalt in Art. 5 GG nicht so ganz wörtlich zu nehmen sei, wenn es gegen die bösen Neonazis gehe. Sogar an diesem dümmlichen Fake einer Grundrechtsgarantie kann man noch etwas nacharbeiten auch eine Methode, das Rechtsbewußtsein der Menschen zu stärken. Und die seit 60 Jahren andauernde Praxis, nicht nur 'rechtsextreme' Organisationen bei Mißfallen zu verbie- ten, sondern auch sonst alles, was irgendeinem antifaschistischen Schwachkopf in Justiz oder Verwaltung verdächtig erscheint: Demos, 'Aufmärsche', runenähnliche Abzeichen, Lieder sie geht weiter. Wer sich allzu weit in Tabubereiche wie Auschwitz, Rudolf Heß oder Zuwanderung vorwagt, so rein meinungsäußerungsmäßig, bekommt leicht die Härte des Gesetzes zu spüren. Zumindest droht ihm die Beschädigung seiner bürgerlichen Existenz. Das besorgt dann notfalls als Nachfolger und Erbe der offen totalitären Ideologien ein sozusagen demokratisch degenerierter Zwergtotalitarismus na- mens political correctness. Mit ihr hat die politische Klasse der Republik eine recht wirksame Selbstzensur innerhalb der Bevölkerung implementiert: Die Leute zensieren sich gegenseitig. Die Fälle Eva Herman oder Thilo Sarrazin zeigten das, enthüllten allerdings auch die funktionellen Gren- zen des Prinzips 'Medienblockade' und 'Mobbing' es waren einfach zu viele, die versehentlich aus der Narkose erwacht waren. Gottseidank nur kurzzeitig. Konrad Lorenz schreibt irgendwo: Die evolutionären Anpassungen der Fische beschreiben alle spie- gelbildlich die Eigenschaften des Wassers. Daß ein Mindestmaß an Anpassung an das umgebende Medium 'Gesellschaft' über Erfolg und Mißerfolg entscheidend mitbestimmt, sieht man z.B. am ziem- lich aufhaltsamen Aufstieg der NPD, die sich redlich bemüht, mit ihren nostalgischen Fahnenaufmär- schen und der 'unauffälligen' Präsenz martialischer Kahlköpfe ihre Rückwärtsgewandtheit zu unter- streichen, was leider immer noch die Wahrnehmung ihrer durchaus vorhandenen Kompetenz in den eigentlichen Gegenwarts- und Zukunftsfragen erschwert. Der Platz am politischen Katzentisch ist verdient. Auf den darunterliegenden Ebenen, wo einen das Parteienprivileg nicht vor willkürlichen Verboten schützt, sind die Botschaften wie die Strategien der Anpassung unterschiedlich entwickelt: Der Po- wertyp, dem die physische Dominanz in seinem Mikrobiotop ausreicht, die Ablehnung schmeichelt, trägt ein modisches "A.H."-Tattoo oder "18" auf dem Hinterkopf, wobei Letzteres dem Betrachter die semantische Wahl läßt: des Führers Anfangsbuchstaben, numerisch kodiert oder der eigene Intelli- genzquotient? Etwas weiter links von extrem rechts sind die Ansichten differenzierter, das Bedürfnis nach demon- Der von der Situation sichtlich überforderte Landtagspräsident ließ sich sozusagen am Nasenring von einem Aufzug der Komödie zum nächsten führen: Aufforderung zum Ablegen der Kleidungsstücke, Weigerung, mehrmalige Wiederholung, schließlich Sitzungsausschluß der Fraktion für mehrere Sitz- Sonnabend, 24.03.2012. Was hören Sie? Sind Schreie zu hören? Aus Toulouse kommt gerade das aktuelle Update her- ein: Voyeurismus für alle v12.0.1, der Showdown zwischen den hoffnungslos unterlegenen, aber to- desmutigen Elitekämpfern der französischen Polizei und einem übermächtigen islamistischen Fana- tiker. Und wieder wird uns die Unvollkommenheit unserer technischen Zivilisation bewußt, trotz iPad und iPhone. Nicht nur der "Nachrichtensender" N24 tut sich schwer damit, daß das, was die hübsche Reporterin über die "erschütternden Momente" vor Ort berichten kann, leider noch von den Ereignis- sen selbst vorgegeben wird: "Nadine, was wir hier natürlich hören, ist auch der Schußwechsel. An- sonsten bekommen wir hier natürlich nicht alles mit wie du. Ist das das einzige, was du hörst, oder hörst du auch Schreie, Rufe oder sonst irgendwas?". Aber das einzige, was die Tontechnik hinein- schneiden kann, sind die minutenlangen MG-Salven Nadine sagt: "Schußgefechte" , gar nicht mal ungeschickt kommentiert mit einer Stimme, in der atemlose Erregung sich paart mit der monotonen Stimmlage eines, der viel zu lange in Jüngers "Stahlgewittern" gehärtet wurde. Etwas genauer die Problemlage eingrenzend das ZDF: "Ist denn darüber schon etwas bekannt, wie- viel Polizisten es da getroffen haben könnte?" Leider bleibt die Ausbeute an Gänsehaut gering. Die Disneyfizierung des Todes (meine Glosse in Flaschenpost 2005) läßt jedenfalls grüßen. Bebende Erwartung: Haben nun die französischen "Eliteeinheiten" (darunter geht's ja schon oberhalb eines Ladendiebstahls nicht mehr in den Medien) den islamistischen Terroristen Mohammed Merah festgenommen, lebend gefaßt, wie der Präsident, leicht levantinisch gestikulierend es befahl? Oder doch nicht? Sie haben nicht. Da geht sie nun den Weg alles Vergänglichen: Sarkozys schon fest eingeplante Trophäe für den Wahlkampf, der AlQaida-Killer von Toulouse. Dabei hätte man doch die Prozeßberichterstattung soo schön mit der Präsidentenwahl synchronisieren können. Nun stellen sich also Fragen. Zunächst ein immer noch ungläubiger Blick auf den Täter: Da wechselt ein junger, urban entwurzelter Nichtsnutz, dessen Lebenswerk als glückloser Vorstadtganove längst vorgezeichnet ist, in wenigen Schritten die Richtung seines Daseins. Es hätte trivialpsychologisch nahegelegen, daß er sein eigenes soziales Scheitern direkt auf "die Schuldigen" projiziert und auf Rache sinnt. Aber er wählt die Chiffrierung des uneigennützigen Kampfes für andere und macht die Rache für die Verbrechen an seinem Volk und seinem Glauben zum Inhalt seines Daseins. Die Hin- richtung der (muslimischen) Soldaten ist Strafe offenbar auch für ihren Verrat am Islam, dann Strafe für die französische Beteiligung an der westlichen Aggression gegen die islamische Welt, nicht nur in Afghanistan; die Tötung der "jüdischen" (israelischen) Kinder Strafe für die Verbrechen Israels. Die beiden letzten Motive, Afghanistan wie auch Israel, sind durchaus verständlich, was die Taten selbst natürlich nicht weniger grausam und sinnlos macht: Statt noch mehr idiotische Antiterrorgesetze mit zweifelhafter Effizienz zu fabrizieren, wäre es vielleicht wichtiger, eine ganze Bevölkerungsgruppe allmählich aus dem archaischen Blutrache- und Sippenhaftdenken zu lösen, damit dieser Wahnsinn, sich an schuldlosen Einzelnen für die Schuld von Kollektiven zu rächen, aufhört. Das ist keine Frage der Abschreckung, sondern der kulturellen Prägung, notfalls über eine erzwungene Umkonditionie- rung, sonst ab nach Hause. Sodann die Frage: Warum die Hinrichtung des Täters durch Kopfschuß? Fast möchte man insistie- ren: Als der Mann aus dem Fenster sprang, war das vor oder nach dem Kopfschuß? so unglaubwür- dig ist die Geschichte der Offiziellen. Die Sachzwänge einer brandgefährlichen Notwehrsituation, die den Polizeikräften gar keine andere Wahl ließ? Was für eine windige Begründung. Das Drama gerät unversehens zur Burleske, die verdächtig an Alphonse Daudets "Tartarin de Tarascon" erinnert, den wortgewaltigen Helden des französischen Südens, der seine tollkühnen Abenteuer dann doch lieber gemütlich im heimischen Tropengarten, allenfalls auf der Karnickeljagd auslebt. Die ursprüngliche Absicht scheint es gewesen zu sein, mit dem Attentäter ein wenig Katz und Maus zu spielen. Dafür sprechen auch die Kostproben gallischen Polizeihumors, den Mann mit Blend- und Schallschockgranaten ein wenig in Panik zu versetzen, nur zum Spaß. Durst und Übermüdung hät- ten ihnen ohnehin in kurzer Zeit einen wehrlosen Gegner geliefert. Dann der offenkundige Wechsel in der Strategie. Kein vernünftiger Mensch wird von einem Polizisten erwarten, sein Leben in einer derartigen Situation zu riskieren, solange nicht andere Leben gerettet werden müssen. Aber: Keinem intelligenten Menschen kann man erzählen, es sei nicht möglich ge- wesen, den umzingelten Terroristen mit gezielten Schüssen in die Beine oder Arme kampfunfähig zu machen, wohlgemerkt bei vertretbarem Risiko. Wieso war für den Fall eines Ausbruchsversuchs kei- ne Vorsorge getroffen? Wo waren die Schutzwände um das Gebäude, die einen waidgerechten Tref- fer an beliebiger Körperstelle ohne Eigengefährdung doch garantieren? Wo war der Maschendraht- zaun um das Haus, ebenso leicht zu improvisieren wie wirksam, um einen einzelnen stürmenden Mann aufzuhalten? Was ist da geschehen, was das Inkohärente wieder verstehbar macht? Da ist einmal der Aspekt der unmißverständlich harten Antwort auf den Terror. Die Bevölkerung darf erwarten, daß potentielle Gefährder ausgeschaltet werden. Das scheint aber zweitrangig gewesen zu sein. Denn da ist zum anderen unübersehbar das Element des eiskalten medienwirksamen Kalküls mit den spätrömisch-dekadenten Bedürfnissen der Plebs. Vermutlich haben Blitzumfragen im Regie- rungsauftrag ergeben, daß das geschätzte Wählerpublikum einen Showdown mit finalem Rettungs- schuß mit höheren Sympathiewerten für Monsieur Sarkozy honorieren würde als die Softvariante mit Gefangennahme und Prozeß. Alles deutet in die Richtung. Oder gab eine telefonische Kurzinterven- tion aus Tel Aviv den Ausschlag? Die conclusio ist die gleiche: Es handelte sich um eine Hinrichtung, nicht mehr und nicht weniger. Aber vielleicht wollen wir das ja doch glauben, um des lieben europäischen Friedens willen? Die Elite der französischen Polizei, diese "25 Männer, speziell ausgebildet für solche Einsätze", waren wirklich aus lauter Respekt vor der Schlagkraft dieses "unfaßbar kaltblütigen" Einzelkämpfers außerstande, dem Typen einfach aus der sicheren Entfernung in die Beine zu schießen. Und natürlich hackt eine deutsche Polizeikrähe den französischen Kollegen kein Auge aus. Auch Rainer Wendt von der Ge- werkschaft der deutschen Polizei Sie wissen schon, die fleischgewordenen Serienhelden, die jetzt immer, Gott ist das peinlich, als NYPD-Verschnitt mit achteckigen Mützen auftreten verkündet: Nur kampfunfähig machen? Das geht gar nicht. Man muß "Wirkungstreffer" erzielen, alles andere ist nicht zu verantworten. Die Moderatorin, taktvoll, hakt nicht weiter nach, läßt den Schwachsinn auf den Zu- schauer wirken, Wirkungstreffer, boom! Unsere deutschen Beamtengehirne macht uns auch keiner nach. Auch dieser letzte Aspekt, daß der europäische Rettungsschirm doch nicht die gesamte europäi- sche Inkompetenz unter sich vereinigen kann und daher ein paar Trottel für die französische Polizei übriggelassen hat, entbehrt nicht einer gewissen Logik. Manche Meldungen erinnern eben mehr an Tartarin als an James Bond: Ein Elitepolizist sei am Fuß verletzt, berichten die Korrespondenten, ein weiterer mit Schock in ärztlicher Behandlung. Das sind nun also die Erben der Helden, die 1916 die grauenhaften Materialschlachten von Verdun und der Somme mit stoischer Tapferkeit durchgestan- den haben. Eine Eliteeinheit, deren Kämpfer bei einem "Schußgefecht" in Ohnmacht oder katatoni- schen Standby verfallen. Vielleicht ist es nur die gerechte Spiegelung der Komik ins Erhabene, daß als Ergebnis einer fünfmi- nütigen Ballerorgie schließlich einem für eine gerechte Sache entflammten, nichtsdestoweniger völlig verblendeten jungen Schwachkopf die unverdiente Chance zuteil wurde, als Krieger den Märtyrertod zu sterben. Denn so schafft man Märtyrer. Es ist Frühlingsanfang. Über Europa lacht die Sonne. Über Frankreich die ganze Welt. Montag, 05.03.2012 |
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