Flaschenpost vom Narrenschiff

2013

Kindermund tut Wahrheit kund
Syrien und die peinlichen befreundeten Massenmörder
Beinah wie 3-D


Sonntag, 24. März 2013.
Kindermund tut Wahrheit kund. Wenn die politische Klasse Deutschlands uns die Welt erklärt, funkeln die intellektuellen Highlights. Natürlich ist es unmöglich, den politisch korrekten Mainstream, mit dem unser Volk tagtäglich heimgesucht wird, auch nur annähernd repräsentativ durch Zitat oder Analyse abzubilden. Allenfalls Richtung oder Geschwindigkeit lassen sich grob beschreiben. Na und vielleicht noch Konsistenz und Duft – es riecht irgendwie unfrisch, wenn das, was Charles de Gaulle gern  als  'ferment de décomposition'  bezeichnete,  seine  mühsame  Zersetzungsarbeit an und in Deutschland verrichtet. Manchmal freilich genügt ein kurzes Schlaglicht, genügen zwei, drei kleine Kostproben aus dem geistigen Fundus unserer unentwegt Verantwortung tragenden, Zukunft gestal-
tenden Eliten, und Andersens Parabel von Kaisers neuen Kleidern bekommt neue Aktualität.

a) Claudia Roth. Fangen wir mit dem Besinnlichen an. In der Talkshow "Hart aber fair" – es ging um
den syrischen Bürgerkrieg und war ausgesprochen spannend – saß neben dem an anderer Stelle
noch zu erwähnenden Jürgen Todenhöfer und anderen auch die Bundesvorsitzende der Grünenpartei
Claudia Roth am Tisch. Das war eine kluge Besetzung; garantiert sie doch für den Extremfall, daß
der argumentative Cocktail durch allzu viel  männliche Rationalität  wäßrig werden könnte, den erfri-
schenden Spritzer östrogener Intelligenz. Und in der Tat kann man sich kaum einen schärferen Kon-
trast vorstellen als etwa den zwischen den sehr abgewogenen, sehr differenzierten Ausführungen des ehemaligen israelischen Botschafters Avi Primor und den intellektuell sehr, sehr abgereicherten Emo-
tionalitäten der grünen Prima Donna. Also, ich finde, den Platz hier in der Stichprobensammlung zum politically correcten Blödsinn auf Bundesebene hat sie sich redlich verdient (und mit ihr die gesamte grüne Klimarettungssekte):

" ... Es geht uns was an, weil wir nicht zusehen dürfen, wie Menschen getötet werden, gefoltert wer-
den, Kinder, Frauen, alte Menschen
[was ist mit den Meerschweinchen, den Wellensittichen, Clau-
dia?]
, wie systematisch ein Frühling, den es ja auch in Syrien gab, und der hat ja auch unglaublich friedlich angefangen wie in anderen Ländern des arabischen Frühlings, über 6, 7 Monate absolut fried-
lich, kein Schuß ist gefallen.
['Unglaublich friedlich', ein Elativ, den ich mir merken muß, wundervoll.] ..... wie dann ein Regime von Assad diese Menschen zusammenprügelt, zusammenschießt, zusam-
menbombardiert, ihre Wohnungen zerstört, da kann man nicht zuschauen."
[Ideenflucht, nur noch durch assoziative Reihung zusammengehalten – hoffentlich kontrolliert jemand die Einkaufszettel für ALDI.]

Nahtoderfahrungen. "Ich war an Ostern in Bagdad, unter anderem in der Ostermesse bei den Chri-
sten und hab' mit Christen dort gesprochen, und hab' auch mit Christen, die dort im Irak erleben, was
es bedeutet, vertrieben zu werden, auch ermordet zu werden, in Sorge über das, was in Syrien pas-
siert,  gehört. ...." 
[Also das würde mich auch interessieren, ehrlich:  jemanden zu treffen, der post mortem berichten kann, was es bedeutet, ermordet zu werden. ..]

Die Dialektik des Zwiegesprächs mit einem einzigen Telefon. "Also ich finde das Gespräch gestern, das Interview [Todenhöfer mit Assad], ich hab's mir natürlich auch angeschaut, ich fand das erschreckend, geprägt von einem unglaublichen Zynismus diesen Mannes, das waren zum Schluß richtige Drohungen. Es war ... absolut realitätsfremd ...
Deshalb muß dieser Mann kapieren, und dieses Regime kapieren, daß es abgelöst werden muß, daß man mit einem solchen Regime nicht in Dialog treten kann, nicht in Verhandlungen treten kann, mit Assad gibt es in Syrien keinen Kompromiß, mit Assad gibt es keinen Neuanfang, mit Assad wird es, kann es nicht demokratische Neubegründung geben, ..."


[Moderator Plasberg: "Sie haben jetzt aus verschiedenen Perspektiven gesagt, mit Assad kann es nichts geben, mit dem Mann redet man nicht, der redet mit keinem, ..." ]

"Nein, Moment, ich sagte nicht, daß man mit ihm nicht redet, aber es muß ihm klar sein, ich finde gut, wenn Kofi Annan mit ihm redet, ich finde gut, daß man ihm auch sagt,: Mit ihm geht es nicht, seine Zeit ist abgelaufen, und es braucht einen Übergang, einen Übergang ..."

Also, ein Dialog mit Assad kommt nicht in Frage, Verhandlungen auch nicht. Aber klar, man redet natürlich mit ihm: Mit dir geht's nicht, hau ab, fuck off, pascholl, yalla! Man kann doch ganz entspannt über das Wann und das Wie des Rücktritts mit dem Mann reden, über das Ob gibt es jedoch nichts zu besprechen. Das als "Miteinanderreden" zu bezeichnen, ist nur für Normalintelligente ein seman-
tisches Pr
oblem. Für die Grünen ist dieser asymmetrische Diskurs mit dem der Wahrheit nicht teil-
haftigen Gegner alltägliche, lästige Routine. Nach der Logik der 68er gibt es schon immer drei Arten
von "Miteinanderreden": Premium Class, Tourist Class. Und für Leute wie Assad die Holzklasse: Ein Megaphon genügt für den Dialog.

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b) Herr Gauck bewältigt unsere Vergangenheit.

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c) Expertenwissen. Aus einer Pressemitteilung der Deutschen Bundesbank zum erfolgreichen Abschluß von Basel II:

"Edgar Meister, im Vorstand der Bundesbank zuständig für Bankenaufsichts-
fragen, begrüßt den Abschluss der Rahmenvereinbarung zu Basel II nach-
drücklich: „Der heutige Tag ist ein bedeutender Meilenstein in der Arbeit des
Baseler Ausschusses. Der ganzheitliche Ansatz von Basel II, bestehend aus
Mindestkapitalanforderungen, bankaufsichtlichem Überprüfungsprozess und
Markttransparenz wird zur Stärkung der Stabilität des internationalen Ban-
ken- und Finanzsystems beitragen. Der Bankensektor und die Aufsichtsbe-
hörden erhalten mit der Vereinbarung die notwendige Planungssicherheit für
ihre Projekte zur Umsetzung von Basel II. Die in den meisten Instituten be-
reits begonnenen Umsetzungsarbeiten sollten jetzt zügig fortgesetzt und zu
einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden.“

... Basel II ist durch ein hohes Maß an Flexibilität gekennzeichnet, die den Ban-
ken zugute kommt. Das Regelwerk geht nicht von dem Grundprinzip "one si-
ze fits all" aus, sondern berücksichtigt durch das integrierte, evolutionäre
Konzept die Größenunterschiede der Kreditinstitute und die Methodenvielfalt
bei der Risikomessung im Bankensektor. Banken können daher künftig für
alle drei zentralen Risikobereiche Kreditgeschäft, Marktpreisrisiko und ope-
rationelles Risiko die für ihre jeweilige Institutsgröße und Geschäftsstruktur
adäquaten Risikomessansätze wählen."


Methodenvielfalt bei der Risikomessung usw., wie schön. Das ist schon beruhigend: Die Restruktu-
rierung des europäischen Bankensystems schreitet zügig voran. Endlich ist das alarmierende Miß-
verhältnis zwischen spekulativen Geschäftsrisiken und Eigenkapitaldeckung bei den Banken erkannt und korrigiert worden, und wir können sagen: Dank dem Sachverstand der Experten und der Einsicht der Regierungen haben wir endlich ein relativ krisenfestes internationales Bankensystem.

Ach so, du lieber Gott, beinahe hätte ich was Wichtiges übersehen: Diese radikale Konsolidierungs-
maßnahme ereignete sich im Jahre 2004. Und hinter der freien Wahl der Risikomessung steckt eine
von Gerhard Schröders liebenswerten Hinterlassenschaften, Deregulierung der Finanzmärkte genannt. Und wie die Experten der Bundesbank geradezu hellsichtig erkannten: Die Erfolge, namentlich ein signifikant gestiegenes Risikobewußtsein bei den Banken und eine erhöhte Stabilität an den Finanz-
märkten, können wir heute ehrfürchtig bestaunen.

Man sieht: Auch im Hause von Jens Weidemann, der sich heute gern  – und leider zu Recht –  als Warner vor der Risikoignoranz der Euroretter gebärdet, ist man erst ziemlich spät auf den Trichter gekommen.

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d) Eröffnungsvarianten und triumphale Bühnenauftritte. "Grüß Gott, meine sehr verehrten Da-
men und Herren, ich freue mich, daß Sie da sind, ähem, meine Damen und Herren, ich habe gestern in der CSU-Landesgruppe, aahm, [wow, der Typ imitiert die Amis!] die Kolleginnen und Kollegen über den aktuellen Sachstand, über die aktuelle Diskussion über die Frage der NPD-Verbotsverfahren in-
formiert.

... ich habe auch keinen Zweifel daran gelassen, daß wir in einem solchen Fall, wo der NPD die Büh-
ne eröffnet ist
, alles daran setzen müssen, daß die NPD am Ende nicht triumphiert, daß wir die Län-
der unterstützen müssen ...
... Also ich will das nochmal sagen: Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, daß ich es für einen Fehler halte, der NPD eine Bühne zu eröffnen, aber mit dem  Antrag der Länder  ist diese Bühne er-
öffnet
...
... Das heißt also, die NPD hat die Bühne, und jetzt geht es darum, daß wir die Länder auf dieser Bühne mit der NPD nicht allein lassen ...

... Wir stehen uns mit der Tatsache konfrontiert, daß die Länder einen solchen Antrag stellen wollen, sehen, daß die Bühne für die NPD damit eröffnet ist und daß wir die Länder unterstützen müssen, damit die NPD am Ende nicht triumphiert.
... Ich habe lediglich den Sachstand referiert, nämlich daß wir die Länder unterstützen müssen in ih-
rem Bemühen, die NPD zu verbieten, daß die NPD am Ende nicht triumphieren darf ...
Also nochmal: ... ... Wir haben eine neue Lage dadurch, daß die Länder einen solchen Antrag stel-
len,  das heißt  also der NPD die Bühne für ihre Selbstdarstellung eröffnet ist. Und  wir müssen ge-
meinsam verhindern, daß die NPD auf dieser Bühne am Ende triumphiert.

... aber jetzt haben wir eben die Lage, daß damit der NPD die Bühne eröffnet ist."

(Bundesinnenminister Friedrich auf seiner Pressekurzkonferenz am 26. Februar 2013)



Montag, 10. Juni 2013.
Syrien und unsere etwas peinlichen befreundeten Massenmörder. Wie außerordentlich meine Bewunderung für die Dickfelligkeit ist, mit der die Politiker und die Medien hierzulande uns über den arabischen Frühling im allgemeinen, den syrischen Bürgerkrieg im besonderen immer noch ungerührt die Hucke vollügen, das sagte ich schon. Anders als im Internet, muß man in der bei den Medien angesiedelten "öffentlichen" Meinung nach Dissidenten mit der Lupe suchen, welche die Mär vom bösen Diktator und den guten Rebellen nicht akzeptieren, sondern als üble Manipulation anprangern. Das hat u.a. damit zu tun, daß sowohl für die Masse der Politiker als auch der Journalisten die Wahr-
heit letztlich eine Funktion des Gehalts ist: Wes Brot ich eß, des Lied ich sing. Irgendwer erdachte
für dieses Riesenheer von Rittern von der traurigen Gestalt den bösen Ausdruck "Mietmäuler". Dissi-
denten haben in Parlamentsfraktionen und Redaktionen eine Neigung zu extrem kurzen Karrieren.
Und außerhalb steht das Fähnlein der Aufrechten auf verlorenem Posten.

Eine völlig unerwartete Hilfe kommt nun von berufener Seite. Die zur Befreiung Syriens angetre-
tenen aufständischen Milizen und Banden haben es sich nicht nehmen lassen, ihr nunmehr über zweijähriges Wirken im Internet ausführlichst selber zu dokumentieren.
Neben den vom deutschen (westlichen) Fernsehen kolportierten Bildern so süß anarchischer Haufen von abwechselnd Siegesparolen oder Lobsprüche auf Allah, den Allerbarmer brüllenden demokratischen Schwarzbärten gibt es eine Unmenge von Videos im Internet, welche das andere Gesicht dieses Aufstandes zeigen: den blutigen Terror krimineller, marodierender Banden oder verhetzter religiöser Fanatiker, selbst ab-
gefilmt und ins Netz gestellt. Ganz unbefangen.

Die nachfolgenden Standbilder zeigen den Anführer einer der zahllosen kriminellen Banden von "Be-
freiungskämpfern", wie er aus der Leiche eines gefallenen Regierungssoldaten Herz und Lunge (?) herausschneidet und hineinbeißt. Das Video war der Redaktion von TIME Magazine bereits im April bekannt und vermutlich schon länger im Internet unterwegs. HUMAN RIGHTS WATCH nahm es Mit-
te Mai zur Kenntnis; die Organisation äußerte pflichtschuldigst einen indignierten Kommentar, nahm jedoch, auffallend feinfühlig, von einer Veröffentlichung des Bilddokuments Abstand. Und überraschte dann mit ungewohntem Bedürfnis nach Objektivität: "... it is not known whether the Independent Omar al-Farouq Brigade operates within the command structure of the Free Syrian Army". Na wenn das so ist und die Bande des Psychopathen möglicherweise, wahrscheinlich, ach was sage ich: ganz be-
stimmt außerhalb der "Freien Syrischen Armee" marodiert, dann wird es sich mit den übrigen Hun-
derten von Massakern, mit den weit über 1500 Bombenattentaten gegen die Zivilbevölkerung (Stand Januar 2013) masch'Allah ganz ähnlich verhalten.
Ein paar bedauerliche Einzelfälle halt.

Man Eater
Embedded below is the infamous video, apparently of Khalid al-Hamad aka ‘Abu Sakkar’ of the independent Omar al-Farouq Brigade from the Baba Amr district of Homs, cutting out the organs of a slain Syrian Army soldier.
The rebel says “I swear to God, soldiers of Bashar, you dogs — we will eat your heart and livers! Takbir! God is Great! Oh my heroes of Baba Amr, you slaughter the Alawites and take their hearts out to eat them!”
(humanrightsinvestigations.org)

Ob eine Zukunft Syriens in solchen Händen wirklich erstrebenswert ist, Mr. Obama?

Hinrichtung gefangener Regierungssoldaten durch die besonders im Nordosten operierende AlNusra-Miliz.
Die Bildunterschrift ist nicht frei von einer gewissen Genugtuung, wie sie sich bei ordentlich verrich-
tetem Tagewerk nun mal einstellt:
"Dschabha AlNusra (Die Front des Beistandes): Hinrichtung von 20 Soldaten des verbreche-
rischen Tyrannen, die an der Tötung von Muslimen beteiligt waren".
Daß der resolute Verteidiger des wahren Glaubens, nachdem er selbst gerade 20 Muslime ins Jen-
seits befördert hatte, sich anschließend eine Kugel ins eigene Spatzenhirn gejagt hätte, ist nicht anzunehmen.

Bilder wie das folgende stellen die Milizen lieber nicht ins Netz. Oft gelangen sie nur über russische Medien an eine breitere Öffentlichkeit.

                                       Autobombenopfer Nähe Damaskus

Der Autobombenterror geht fast ausschließlich auf das Konto der Opposition. Und sowohl die zyni-
schen Interessenpolitiker des Westens als auch die erheblich desorientierten Frühlingsromantiker
mit der Zwangsvorstellung vom syrischen "Volksaufstand" müßten sich eigentlich der Frage stellen,
ob gegen solche Bestialität der angebliche Terror der Regierung gegen angeblich friedliche Demon-
stranten überhaupt noch ins Gewicht fällt. Wo bleibt das inszenierte Entsetzen der deutschen Medi-
en, die sich doch über al-Assads Brutalitäten bis an die Grenze der Apoplexie aufregten? Die grau-
samsten Details dieses Bildes habe ich geschwärzt.

Von den deutschen Medien wurden diese triumphierenden (Selbst-)Dokumentationen der Entmen-
schung – drei unter Hunderten – in gleichgeschalteter freiwilliger Erblindung vollständig ignoriert. Auch so sorgt eine zweckvoll gesteuerte Verschleierungspolitik dafür, daß der westlichen "Öffentlichkeit" immer noch die volle Wucht der Wahrheit über die syrische "Befreiungsbewegung" erspart wird: Unter dem Rubrum "Freie Syrische Armee" zusammengefaßt, agieren mehrere hundert nur lose vernetzte Banden, die in ihrem  pathologischen Haß  auf alles, was pro-Assad  bzw. nicht sunnitisch ist, jede ethische Kontrolle verloren haben, falls sie je eine hatten. Hunderte von selbstgedrehten Propa-
gandavideos kennen eigentlich nur zwei Hauptmotive: Erfolge (Abschuß eines Panzers, Sni-
per trifft Zielperson)  und das,  was man  mit dem verhaßten Gegner nach dem Sieg macht (wahllose Erschießungen,  Enthauptungen  von Gefangenen oder (schiitischen)  Zivilisten, brutalste Mißhandlungen bis hin zu Verstümmelungen , erfolgreich gezündete Autobomben usw.).


Man muß sich fragen, auf welche Stufe der Verkommenheit diese "Freie Syrische Armee" und ihr "demokratischer" Wurmfortsatz, die selbsternannten politischen Anführer eines "freien" Syrien, noch hinabsinken müssen,  damit  der Westen  inclusive der  deutschen  Bundesregierung  sich endlich schämt und sich von dem Gesindel abwendet. Ebenso muß man sich fragen, wie zynisch (oder reli-
giös verbiestert?) die arabische Unterstützungsfront ist, um nicht zu sehen, wie die häßliche Fratze eines sunnitischen Islam im Blutrausch gegen "Ungläubige" und "Häretiker" sich für Jahrzehnte in der öffentlichen Wahrnehmung zwangsläufig vor das Märchenbild vom friedlich-toleranten Nebeneinander der Religionen schieben wird.

Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, daß es den Aufständischen, an der Spitze die ent-
setzliche AlNusra-Brigade, gelungen ist, in nur zwei Jahren weite Teile Syriens auf den Zi-
vilisationsstand Deutschlands im Dreißigjährigen Krieg abstürzen zu lassen
. Im Gegensatz
zum Westen sind die barbarischen Zustände nicht nur der russischen Regierung bekannt, sondern finden auch breiten Raum in der Berichterstattung der russischen Medien. Russische Fernsehsender, aber auch z.B. der abchasische Sender  ANNA berichten  aus dem freien Teil des Landes, also Da-
maskus  und dem Südwesten,  aber auch direkt  von den Brennpunkten der Front.  Die im Internet reichlich zu findenden Filme zeigen, wie mühsam, trotz immer noch überlegener Bewaffnung, die Re-
gierungstruppen bei der Säuberung nicht etwa ganzer Stadtviertel, sondern selbst einzelner Straßen-
züge vorankommen. Sie offenbaren auch, daß, obwohl doch schon lange russische Militärberater mit Tschetschenienerfahrung im Land sind, taktische Führung und Gefechtsausbildung für den Einsatz in urban areas, also den Häuserkampf, in der syrischen Armee ein Buch mit sieben Siegeln sind. Es dreht einem einfach den Magen um, wenn man Szenen sieht, wo z.B. zwei schwere T-72 einsam und allein,  ohne Infanterie-  oder  Hubschrauberflankenschutz auf einer Straße gemütlich geschützrohr-
schwenkend auf- und abtuckern, bis sich dann endlich ein paar Volksbefreier mit ihrer Panzerfaust durch die Trümmer herangearbeitet haben und ihnen in einem Feuerball den Turm wegpusten.

Manche Dokumentationen sind in anderer Weise aufschlußreich. So z.B. die eines russischen Fern-
sehteams, das, direkt ins Kampfgeschehen eingebunden, Regierungstruppen beim Durchkämmen eines offenbar weitgehend von Rebellentrupps gesäuberten Abschnitts in Aleppo begleitet. Durchweg beeindruckt bei diesen Regierungsverbänden der Gegensatz zu dem "orientalischen" Geschrei, der
sich überschlagenden Gestik der "Freiheitskämpfer" in den Medienberichten: ernste, entschlossene Sachlichkeit einer disziplinierten Truppe, ein Gegensatz, den uns die deutschen Medien wohlweislich vorenthalten. Ebenso auffällig wie wohltuend: Während dieser 43 Minuten hört man zwar ab und zu
ein angespanntes Nebeneinander von "Dawai, dawai" und "Yalla, yalla", aber kein einziges Mal die-
ses unvermeidliche, nervenzehrende "Allahu akbar!", das alle Rebellenaktivitäten im 10-Sekunden-
Takt begleitet,  in allen  Intonationen,  von Inbrunst  über Erleichterung oder Triumph bis zu blanker Hysterie.

Mühsam arbeiten sich Assads Truppen Wohnblock um Wohnblock vor, drängen die Milizen zurück. Nicht zuletzt dank dem effizienten Einsatz von Hassan Nasrallahs Hizbullah-Miliz, die so ein wenig den furchteinflößenden Ruf einer schiitischen Waffen-SS hat. Auch sie religiös motiviert und nicht gerade Garant einer säkularen Staatsidee, wie alAssad sie zu retten versucht. Aber der Mann kann sich seine  Verbündeten nicht aussuchen.  Ob die zur Zeit ganz offensichtlichen Erfolge der Regie-
rungstruppen und die ebenso deutliche Schwächung der Rebellen auch das politische Blatt zugun-
sten alAssads wenden werden, ist nicht sicher.
Erstens könnten die bescheidenen Geländegewinne um einen hohen Preis erkauft sein: eine Über-
spannung der eigenen Kräfte mit der Gefahr eines darauffolgenden Zusammenbruchs (also eine ähn-
liche Erfahrung,  wie sie  1942  Rommels deutsches Nordafrikakorps  und die Briten abwechselnd machten).
Zweitens deuten die Reaktionen bei den westlichen Regierungen auf wachsende Panik hin und müß-
ten jetzt eigentlich ein verstärktes Engagement in den Konflikt hinein nahelegen: offene Intervention. Schlimmer noch: Wie der Nachrichtensender "Russia Today" berichtet, geht man NATO-intern davon aus, daß mehr als 70 Prozent der syrischen Bevölkerung auf der Seite Assads stehen. Und die andauernde Schreckensherrschaft der Aufständischen läßt diese Zahl täglich wachsen. Doch gerade das könnte Assads Ende bedeuten. Denn in dieser neokolonialistischen Scharade um den an-
geblichen Volkswillen und den ihn unterdrückenden Diktator taucht plötzlich das alte Rousseau'sche Dilemma wieder auf: Was tun, wenn der von der versammelten westlichen Impertinenz so klar erkann-
te  allgemeine Wille  (la volonté générale  = Assad muß weg) mit dem Willen der syrischen Bevölkerung (la volonté de tous/de la majorité = Assad ist das kleinere Übel) immer weniger
übereinstimmt? Da hilft nur eins: Der Mann muß entfernt werden, bevor die Sache sich herumspricht.



Donnerstag, 7.11.2013.
Beinah wie 3D. Wie die Realität ihr eigenes Abbild widerspiegelt. Seit dem gesegneten Jahre 2003 bin ich Opa – na ja, ich wurde adoptiert. Äußerst zeitraubende Angelegenheit, so'ne Großvaterschaft, wenn die Eltern berufstätig sind. Aber – wie könnte es anders sein – eine wunderbare, bereichernde Erfahrung,  die meine  Gefühlswelt grundlegend  verändert hat. Ach, was soll das sentimentale Ge-
schnurre; jedenfalls sage ich  seitdem nicht mehr wie früher zu den unterrichtsplanenden Kollegen: "Am liebsten wäre mir schon,  nur in Mittel- und Oberstufe eingesetzt zu werden.  Seid so lieb und haltet mir die kleinen Milchstinker vom Leib, ja?" War gemein, aber so war' s nun mal, und jetzt bin ich ja geläutert.

Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja. Wieder einmal muß Opa den Knaben mit dem Wagen von der Schule abholen. Die zehn Kilometer vergehen mal lebhaft, mal einsilbig. Diesmal haben wir wenig Gesprächsstoff. Lennard (ich würde ja heute 'Sheldon' bevorzugen, aber 2003 war Dr. Cooper eben noch nicht so angesagt), also Lennard hat wohl wieder mal was ausgefressen. Aber plötzlich ruft er ganz aufgeregt: "Kuckma, Opa, beinah wie 3D!". Nachdem ich die schrecksekundäre leichte Spurab-
weichung des Wagens korrigiert habe, sehe ich nun auch, wie der stürmische Herbstwind Schwärme gelber Blätter direkt auf uns zu treibt, die rasend schnell vor der Windschutzscheibe größer werden,
fast einschüchternd, um im letzten Moment seitlich zu verschwinden.

In der Tat: Beinahe wie 3D. Bloß alles ein bißchen kleiner, mangels Breitwand ...



LastUpd.: 09.01.2016