Das deutsche ökonomische Selbstmordprogramm
            - ein Auszug


Ein- und Ausfuhren Bundesrepublik Deutschland - VR China

(in Tausend €)

Ausfuhr Einfuhr Saldo

7-/1990

1.996.012

4.378.723

-2.382.711

1991
4.064.060
11.558.511
-7.494.451
1992
5.744.105
11.651.179
-5.907.074
1993
9.597.972
13.808.502
-4.210.530
1994
10.296.535
15.399.938
-5.103.403
1995
10.783.640
15.989.168
-5.205.528
1996
10.887.358
18.011.758
-7.124.400
1997
10.628.551
21.534.262
-10.905.711
1998
11.900.354
23.180.537
-11.280.183
1999
6.948.927
13.794.546
-6.845.619
2000
9.458.776
18.553.131
-9.094.355
2001
12.118.124
19.941.660
-7.823.536
2002
14.570.732
21.338.496
-6.767.764
2003
18.264.544
25.681.394
-7.416.850
2004
20.991.689
32.791.357
-11.799.668
-10/2005
17.482.684
31.735.372
-14.252.688
Kumuliert
      175.734.063
      299.348.534
- 123.614.471

                  (Quelle: Deutsche Bundesbank)

Wie man sieht, ist der vielgerühmte Handel mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China für die deutsche Gesamtwirtschaft ein äußerst schlechtes Geschäft. Das ist die Wirklichkeit der Globali-
sierung: Die von sämtlichen Bundesregierungen so üppig mit Steuergeschenken und beschäfti-
gungspolitischer Duldungsstarre verwöhnten deutschen Exportunternehmen verkaufen, sie bauen in China ihre Zweigwerke, sie erwirtschaften mit Sicherheit Profite. Nur werden diese Export-"Erfol-
ge" schon lange mit Massenimporten erkauft, deren Auswirkungen auf die deutsche Gesamtwirt-
schaft nur als mittlere Katastrophe bezeichnet werden können. Das zugrundeliegende Muster sollte uns bekannt vorkommen: Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert. Die praktische Ver-
nichtung der heimischen Textilindustrie durch die Billigimporte aus Fernost ist übrigens völlig unab-
hängig von der negativen Handelsbilanz, wie die Tabelle sie ausweist. Letztere zeigt nur, daß Deutschland für diese Opferung von über tausend Betrieben mit hunderttausenden Arbeitsplätzen noch nicht einmal durch die Außenhandelserlöse mit China entschädigt wird. Die Liste weiterer Beispiele wäre lang. Aber eine Kritik an der wirtschaftspolitisch unverantwortlichen Überbewer-
tung der Exportindustrie ist heute noch ein Tabubruch, wird es bleiben, solange die hier involvierten massiven Kapitalinteressen sich die ihnen passende öffentliche Meinung einfach kaufen können.

Was steckt dahinter? Deutschland leistet sich, mit jeder Wahl vom tumben Wähler erneut bekräf-
tigt, den Luxus, in puncto Globalisierung die korrupteste, inkompetenteste und unpatriotischste politische Klasse aller Industrieländer zu haben. Diese begnadeten Lenker der deutschen Wirt-
schaftspolitik stehen, wie wohl jeder weiß, großenteils auf der Lohnliste in- und ausländischer Kapitalgesellschaften oder mächtiger Interessengruppen wie der Europäischen Union, der nun wirklich alles Mögliche am Herzen liegt, nur nicht die deutschen Interessen. Was nun Theorie und Praxis der  neoliberalen Wirtschaftspolitik angeht,  in diesem  Fall speziell  der  globalistischen Außenhandelstheorie, so kann man es sich aussuchen: Entweder sind die Politiker und ihre pro-
fessoralen Ohrenbläser (mit und ohne Fliege) von  finanzkräftigen  Sponsoren gekauft,  oder sie
sind schlicht dumm wie Pellkartoffel.

Die "Theorie" des globalen Freihandels – sofern sie sich denn überhaupt noch mit  wissenschaft-
lichem Anspruch drapiert – stützt sich ganz wesentlich auf die von dem amerikanischen Wirt-
schaftswissenschaftler Paul A. Samuelson propagierte Außenhandelstheorie vom "komparativen Kostenvorteil". Die wiederum geht auf die für ihre Zeit (1817) sehr bemerkenswerten Überle-
gungen des Briten David Ricardo zurück 1). Jeder Student der Volkswirtschaft dürfte seit den sechziger, siebziger Jahren mit Samuelsons Standardwerk "Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und Mikroökonomie" sein Grundwissen erworben haben. Mit kaum bestrittener Autorität konnte Samuelson seine Theorie durchsetzen, derzufolge die allgemeine Wohlfahrt am stärksten gefördert wird, wenn jede Volkswirtschaft das produziert und verkauft, was sie kostengünstiger
als andere herstellen kann, und umgekehrt vergleichsweise billigere Produkte einführt, statt sie selbst zu erzeugen. Wer seine heimische, teure Produktion durch Schutzzölle abschirme, schneide sich ins eigene Fleisch.

Obwohl es von Anfang an offensichtlich war, daß ein auf diesem Prinzip des komparativen Kos-
tenvorteils aufbauendes Handelssystem eigentlich nur ein riesiges System von lokalen und regiona-
len Ungleichgewichten sein konnte – denn welches Land könnte dabei eine ausgeglichene Handels-
bilanz haben?  –, setzte sich die Unglückstheorie durch. Zunächst einmal lieferte sie den klassischen Exportländern eine hübsche Begründung für die sicherlich von Gott persönlich so eingerichtete Zweiteilung der Weltwirtschaft in Rohstoffproduzenten einerseits, Veredelungswirtschaften ande-
rerseits, bei der es überall nur Gewinner gab. Sodann und ganz allgemein leuchtete es jedem durch-
aus ein, daß, wenn die Italiener ihren Bedarf an Eisbärfellen in Kanada deckten, andererseits die Kanadier die Chiantiproduktion besser den Italienern überließen, alle Beteiligten ein gutes Geschäft machten. Jedoch, was beim Austausch komplementärer Wirtschaftsgüter so überzeugend aussah, wurde – sogar der Nobelpreisträger Samuelson hätte darüber stolpern müssen – zum Problem, so-
bald das Prinzip auf konkurrierende Produktionszweige angewendet wurde und vor allem, sobald man von der rein qualitativen zu einer quantifizierenden Betrachtung überging.

Hier die einigermaßen naiv simplifizierende Formel: "Angenommen, zwei Länder A und B produ-
zieren die gleichen Güter Pa und Pb, wobei A Pa preisgünstiger produziert, B dafür Pb billiger an-
bieten kann. Land A steigert nun den Export von relativ preiswertem Pa und stellt dafür die Pro-
duktion von Pb ein; Land B hingegen importiert das billige Pa (wodurch die eigene Pa-Industrie überflüssig wird) und exportiert dafür verstärkt das preislich überlegene Pb."

An dem Beispiel wird sofort deutlich, daß beide Länder ein gravierendes Problem mit ihren im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähigen Produktionszweigen bekommen, die ja nur noch die Wahl zwischen schnellem Untergang oder der für Familien- und Unternehmerbetriebe typischen Agonie in der Lohn- und Preissenkungsspirale bis zum Exitus haben, mit hoher Ver-
schuldung als Dreingabe. Wollen wir wenigstens zugunsten der armen akademischen Trottel, die
den globalen Freihandel so innig weiterempfahlen, annehmen, daß sie sich bis in die frühen Acht-
ziger selber nicht vorstellen konnten, eine einzige Regierung eines modernen Industrielandes könne die Blödigkeit besitzen, die Zollbarrieren tatsächlich auch da niederzureißen, wo die Folge zwangsläufig eben die Vernichtung oder Dezimierung ganzer Wirtschaftszweige durch Billigimporte sein mußte. Das etwas alberne Argument, die freigesetzten Arbeitskräfte und Kapitalien würden durch entsprechendes Wachstum der Exportbranchen absorbiert, harrt noch der quantitativen Präzisierung, und auf die werden wir lange warten. Und die empirischen Befunde – wenngleich
ohne wirkliche Beweiskraft – sprechen eine klare Sprache. Es kann nur ein schwacher Trost sein, daß einer der Urheber dieses ganzen Unfugs, Samuelson, mittlerweile 89jährig, unlängst öffentlich eingestand, daß ein nach seiner Theorie konzipiertes universales Freihandelsmodell "wohl doch
nicht in allen Fällen für alle Beteiligten Vorteile bringe". Sehr dezent formuliert, aber immerhin.
Bleibt die ratlose Frage: Hat der Mann (und seine zahllosen Nachbeter) wirklich nicht begriffen,
daß die Anwendung des Paradigmas des komparativen Kostenvorteils auf den Faktor "mensch-
liche Arbeit" für die klassischen Hochlohnwirtschaften geradezu tödliche Konsequenzen haben
muß?

Die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China mag wirtschaftstheoretisch schwer zu klassifizieren sein - auf jeden Fall betreibt China eine Außenhandelspolitik, die klar erkennbar neomerkanti-
listisch ist: Möglichst wenig importieren, dafür möglichst viel exportieren. Ludwig Erhards "Magi-
sches Viereck" ist den Chinesen schnuppe, und wie man sieht, geht es auch ohne die vierte Ecke desselben, die ausgeglichene Leistungsbilanz. Der Abschreckungseffekt der inflationären Entwer-
tung einer so erzielten aktiven Handelsbilanz (infolge einer entsprechenden Zunahme der Geldmen-
ge) ist ein frommer Wahn - Relikt aus der Zeit der Edelmetallwährungen, bzw. Trugschluß von der Praxis westlicher Länder, die Exporterlöse in fremder Währung ungebremst in heimische Währung konvertieren zu lassen, auf chinesische Verhältnisse. Die chinesische Regierung praktiziert eine ri-
gide Devisenbewirtschaftung und kann, sobald die Inflation das dem Wirtschaftswachstum förder-
liche Maß übersteigt, mit drastischen Eingriffen die Geldmenge steuern. Und alles das, ohne sich
von Unternehmerverbänden oder sonstigen Interessengruppen reinreden zu lassen.

Die chinesischen Währungsreserven lagen Anfang 2006 bei etwa 850 Milliarden Dollar. Ende die-
sen Jahres wird der chinesische Handelsüberschuß in der Größenordnung von 140 Mrd. Dollar liegen. Die kürzlich erfolgte Lösung des Yuan von der Dollarbindung für das internationale Wäh-
rungssystem mag den Chinesen mit ihrer traditionell eher undynamischen Denkweise schwerge-
fallen sein. Doch ist sie durchaus kein Zugeständnis an den Westen ohne Hintergedanken, sondern ganz im Gegenteil die Beseitigung einer Schwäche, vor allem des Risikos der Überbewertung der chinesischen Währung.

Im Grunde liegen die Verhältnisse beim Handel mit Japan, Korea usw. ganz ähnlich: Auch da hat
die deutsche Wirtschaftspolitik nach dem offenbar unwiderstehlichen Vorbild der Lemminge ganze Wirtschaftszweige – in Sonderheit die wichtigen Bereiche Computertechnik und Haushaltselektro-
nik – zugrunde gehen lassen, mit einer passiven Handelsbilanz als Dreingabe. Nirgends aber wird das analphabetische Niveau deutscher Wirtschaftspolitiker und "Bosse" gnadenloser offenbar als in der Chinapolitik. Muß man wirklich Historiker sein, um die schier grenzenlose chinesische Arro-
ganz als eine Jahrtausendtradition zu erkennen? Die europäischen "Langnasen" sind im Begriff, sich in der chinesischen Wahrnehmung in "Langohren" zu verwandeln, nämlich in Esel, die sich auch
noch clever vorkommen, wenn sie der chinesischen Mohrrübe vor ihrer Nase hinterherhecheln.
Hier trifft eine Wirtschaftspolitik des langen Atems, die weder Sentimentalität noch echtes Fair Play kennt, auf eine "Managementkultur", in der der schnelle, risikolose Profit ohne Rücksicht auf die Spätfolgen alleiniger Maßstab ist. Die Shareholder-Value-Philosophie definiert Zukunft als den Zeitraum von jetzt bis zur nächstens Aufsichtsratswahl. Es läßt sich also absehen, daß die kurzfris-
tigen Optimierungsspielchen der westlichen Wirtschafts-"Eliten" eher früher als später zu einem bösen Erwachen führen werden. Irgendwann einmal wird der Technologietransfer nach China erfolgreich abgeschlossen sein, werden deutsche Tochterunternehmen in China in der deutschen Leistungsbilanz nicht mehr erwähnt werden, weil sie eigentlich chinesische Unternehmen sind. Und deutsche Delegationen werden in Peking um chinesische Investoren werben, denn ein deutsches Unternehmen, in dem chinesisches Kapital steckt, werden sie doch nicht kaputtmachen, oder?
Oder anders: Die Heuschrecken (auch die deutschen) wandern weiter; zurück bleibt eine abgewei-
dete Volkswirtschaft und eine Gesellschaft mit richtig faszinierenden, ganz neuen – oder nur ver-
gessenen? – Verteilungskämpfen.

Das ist Globalisierung: Wir arbeiten uns langsam bis zur Gruppe der Schwellenländer vor – leider von der falschen Seite.

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1) Seit Ricardo gehört auch die absolut britische Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen für die arbeitende Be-
völkerung zur ethischen Grundausstattung der Kostenminimierer. Das begegnet uns heute natürlich nicht mehr
in der abstoßenden Radikalität des Manchesterkapitalismus. Aber mit der freiwilligen Erblindung der 'gesell-
schaftlichen/staatlichen Kontrollinstanzen gegenüber der ökonomischen Realität, d.h. der Unfähigkeit, die asoziale und selbstzerstörerische Grundanlage eines 'entfesselten' Kapitalismus zur Kenntnis zu nehmen, fährt der neoliberale Zug der Modernisierung eindeutig rückwärts in Richtung Manchester. In den akademischen Modellen , welche den ricardianischen Ansatz weiterführten (Heckscher-Ohlin u.a.) ist unter den systemati-
schen Prämissen stets auch "Vollbeschäftigung" zu finden. Da eben diese zentrale Voraussetzung in der ökonomischen Realität aber Seltenheitswert hat, wurde sie dann bei der wirtschaftspolitischen Rezeption der segensreichen Lehre vom komparativen Kostenvorteil umgehend vergessen. Heute wissen wir: Der globali-
sierte Freihandel ist der Todfeind der Vollbeschäftigung.

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