Wie ein Land mit seinen Lehrern nicht umgehen sollte.

Ich kann es beeiden: Mit 55 oder 60 sind die Ressourcen des Lehrers nicht mehr dieselben wie mit
35. Die Praxis, die Arbeitsbelastung der Kollegen ab dem 50. Lebensjahr alle fünf Jahre um eine Wochenstunde zu verringern, war eine gute Sache. Da erschien eine dunkle Macht, Finanzmisere genannt, und gebar so um 1997 ein Ungeheuer namens KLAUS (Konzept zur langfristigen Unter-
richtssicherung
). Im Klartext: Einsparung einiger hundert Planstellen durch Verlängerung der Lehrer-
arbeitszeiten. Wie umschrieb es doch der spätere Bundeskanzler Schröder so stammtischgerecht? "Lehrer sind sowieso bloß faule Säcke." [Na ja, mein Jung, dafür können sie wenigstens ein paar nachprüfbare Ergebnisse vorlegen, und nicht nur Flugkilometer und "staatsmännische" Gasblasen, nüch?]

Die Lehrerkollegien, empört, kündigten entschlossene Gegenmaßnahmen gegen das KLAUS-Projekt
an: Dienst nach Vorschrift, keine AGs, keine Projektwochen, Liebesentzug ... Einige Monate später kündigten viele (darunter auch unseres) an, daß sie doch lieber nichts ankündigen wollten. Na ja, als
uns dann tatsächlich die Ermässigungsstunden (Alter, Oberstufen-, AG-Belastung) fast restlos ge-
strichen wurden, ging ein ungeheures Aufbäumen durch die Lehrerschaft des Landes. Sogar die Kie-
ler Landesregierung konnte es als leichtes Kräuseln der Oberfläche wahrnehmen! Womit ich sagen
will:  Lehrer sind eine durchdomestizierte Spezies,  und deshalb haben sie genau den Arbeitgeber,
den sie verdienen. Nichts für ungut, Kollegen - es war ganz nett mit euch, all die Jahre! - aber diese Duckmäuserei  hat mich mächtig geärgert.  Und fast noch mehr, daß  ich euch schon in der ersten Konferenz vor leeren Drohgebärden und der anschließenden Peinlichkeit gewarnt hatte, ohne Erfolg natürlich ...


Konvergenz der Systemparteien

Aus Gründen der Fairness ist festzustellen, daß die Kultusminister in den CDU-Landesregierungen gegen ihre Lehrer haargenau dieselbe schäbige Ausbeutungsstrategie fahren wie ihre sozialdemo-
kratischen Kollegen. Da ist eben doch viel Verbindendes zwischen den Systemparteien, z.B. die Ver-
ehrung des Heiligen Opportunius: Das Arbeitslosenproblem durch einen kräftigen steuerrechtlichen
Tritt in den Hintern der Arbeitgeberschaft zu beseitigen, das bringen weder die einen noch die ande-
ren; aber den Lehrern ab und zu mal kurz die Nase in den Teppich zu drücken, dazu reicht es alle-
mal, und das parteiübergreifend.  Das Wissen,  daß in den  Parlamenten, die solches beschließen
oder mittragen, überproportional viele Lehrer/innen sitzen, macht mir diesen Berufsstand nicht sym-
pathischer ...


Eyh, Mann, wo liegt das Problem?

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Probleme, die zu lösen (gewesen) wären, um deren Lösung die Landesregierungen sich aber mit Ausdauer herumdrücken.

Zunächst darf man nicht Überalterung mit Lehrermangel in einen Topf werfen, was oft geschieht. Die Alterspyramide in den meisten Lehrerkollegien ist ein wenig kopflastig, Tendenz zunehmend. Wie die untenstehende Grafik zeigt, werden in zehn Jahren bundesweit mindestens 20% der heute aktiven Lehrer in den Ruhestand gegangen sein, in Schleswig-Holstein 28,3%, an meiner Schule sogar 37,5%! (Sehr sinnig: die Farbe Immergrün, oder?) In zwanzig Jahren, wenn der Einstellungsboom der siebzi-
ger und achtziger Jahre voll durchgereicht worden ist, werden es sogar
62%, 74,7% resp. 77,1% sein.
Und das bedeutet, da sie in ihrer übergroßen Mehrzahl Beamte sind, daß sie mit fast 80% ihres Ge-
halts dem Dienstherrn weiter auf der Tasche liegen (und nicht der Rentenversicherung), daß aber an-
dererseits eine nicht unbeträchtliche Zahl junger Nachrücker zu besolden ist. Gewiß - auch hier gilt:
'Trau keiner Statistik, es sei denn, du hättest sie selber gefälscht.' Das betrifft nicht nur die Ungenau-
igkeiten solcher Zusammenstellungen (wie etwa die verschiedenen Erhebungszeitpunkte u.ä.); das

    Quellen:
    BRD: GEW;  Bayern: bpv / Bayr. KM; Schl.-Holstein: KM
    Schwarzenbek: M.Grabowski, Iterative Evaluation von Signifikanzschwankungen bei dediziert geronto-
   graphieorientierten gymnasiologischen Controllingstandards (Kiel, 2001) *)

    *) Auszählen der Kollegiumsliste: 5 min  /  Formulierung des Titels: 22 min  /  Also voll im Trend

trifft auch die im statistischen Material implizierte Aussage. Die Lehrerverbände stellen die Überalte-
rung der Kollegien gern als Jahrhundertkatastrophe dar. Aber in Wahrheit ist das weder für die Leh-
rer noch für  die Schüler noch  für die  Kultusminister besonders schlimm, eher ein Ärgernis.  Mein Deutschlehrer in der vierten Volksschulklasse war – nachkriegsbedingt – ein rüstiger Siebziger, und
es hat uns  nicht geschadet,  im Gegenteil.  Schlimm ist die Sache nur für die Finanzminister, die,
s.o., mit dem herankommenden Pensionierungsberg ein echtes Problem haben.

Die bis zum Jahre 2020 quasi-stetig ansteigende Zahl der Pensionierungen bekommt allerdings eine besondere Qualität, wenn man sie zur Anzahl der Neueinstellungen ins Verhältnis setzt. Da zeigt es
sich nämlich, daß Kiel seit Jahren "vergessen" hat, ausreichenden Ersatz für die ausscheidenden Kollegen einzustellen. Zur bösen Kapitalakkumulation im Kapitalismus gewissermaßen das sozialis-
tische Spiegelbild der Akkumulation des Mangels ... Ist schon irgendwie anrührend menschlich, wie
sie den mit jedem Jahr sich verschärfenden Lehrkräftemangel durch kleine Improvisationen zu Lasten
der verbliebenen  Kollegen "auffingen".  Einfallsreich war man  eigentlich nur im Herausschinden von Mehrarbeit durch die erwähnte Streichung von Ermäßigungen, feinfühlige Erhöhung der Klassenstär-
ken, aber auch bei den Einstellungsbedingungen für junge Kollegen. Wie sie das gemacht haben: erst "Entbeamtung"  (moderner, billiger, keine Pensionszahlungen),  dann nach Jahren die  Entdeckung,
daß ja Angestellte durch die anfallenden Sozialbeiträge sogar teurer werden, schnell zurück zur Ver-
beamtung - also das war schon ein Meilenstein an Professionalität! Das Ganze gegen jede Vernunft, aber unverdrossen über den Primat der Bildungspolitik psalmodierend ...

Das Auf und Ab der Schülerzahlen scheint für die Bildungsplaner in Kiel ein Buch mit sieben Siegeln
zu sein. Dabei wissen mehrere Leute in meinem Bekanntenkreis, wie man die Anzahl der Lebendge-
borenen für jedes Jahr herauskriegt (nämlich beim Statistischen Landesamt), und einer weiß sogar,
wie man daraus die Anzahl der pro Jahr zu erwartenden Einschulungen ziemlich genau berechnet.
Und in  der Eulenspiegelstadt  Mölln soll es sogar einen geben,  der kann ausrechnen, wieviel Zehn-
jährige wir nächstes Jahr haben werden,  die für die  Sexta eines  Gymnasiums in  Frage kommen
könnten ...

Inkompetenz als Chance

Daß die Anzahl der notwendigen Neueinstellungen irgendwie mit dem vorhandenen Personalbestand und seiner Altersstruktur einerseits, andererseits mit den zu erwartenden Schülerzahlen verknüpft ist, wird in Kiel natürlich auch bemerkt, und zwar immer zu Silvester für das bevorstehende Jahr. Damit wäre die Problemsituation hinreichend umrissen: Wir haben zuwenig Lehrer oder, anders herum, zu-
viele Schüler. Aber das eigentliche  Problem ist:  Wir haben eine  Landesregierung, die über ihren selbstverliebten ideologischen Spielereien noch gar nicht bemerkt hat, daß da ernsthafte bildungspo-
litische Arbeit zu erledigen wäre. Eine Landesregierung, der es ganz offensichtlich an der bildungs-
planerischen Kompetenz fehlt, wie die schwierige Situation sie erfordert.

Was war zu tun, was ist zu tun? Kein vernünftiger Mensch kann verlangen, daß bei der chronischen Ebbe in den öffentlichen  Kassen die Länder sich immer weiter  verschulden, nur um  mehr Lehrer einzustellen. Trotz einer gewissen Affinität kann ich nur hoffen, daß auch ein Oskar Lafontaine hier
die Grenzen des keynesianischen Rezepts erkennen müßte. Gewiß ist es richtig, daß z.B. 100 Mil-
lionen Mark in Gestalt von zusätzlichen Lehrergehältern der Konjunktur wie der Arbeitslosenstatistik zugute kämen, wohingegen derselbe Betrag als Steuergeschenk an die ohnehin schon Superreichen
und die Großunternehmen wirkungslos bleibt. Richtig ist aber auch, daß - anders als bei den Ausga-
ben eines normalen Wirtschaftsunternehmens - nur ein Teil des Geldes, nämlich die darauf erhobe-
nen Steuern, wieder in die Kasse zurückfließt. Das Verlangen nach Einstellung von mehr Lehrern
aus rein beschäftigungspolitischen Gründen ist also schlecht durchdacht. Für die Schaffung von Ar-
beitsstellen ist die öffentliche Hand einfach die falsche Adresse. (Womit meine grundsätzliche Be-
wertung von ABM-Politik, nämlich "Prädikat schwachsinnig", bereits zum Ausdruck gebracht ist).
Das ist nur einer der Vorwürfe, die ich der Kieler Landesregierung zu machen habe (die anderen Re-
gierungen sind nicht viel besser, wohl wahr): Die Mischung aus Inkompetenz und Unredlichkeit, die
sich darin offenbart, daß die eigentliche Aufgabe, nämlich die Versorgung mit Bildung sicherzustel-
len, vermischt wurde mit schlicht opportunistischen, wahltaktischen Bemühungen, den Arbeitsmarkt
zu "entlasten". Diese Vermengung der Zielsetzungen führt dann beispielsweise dazu, daß der Besen
der Frühpensionierung durch die Kollegien rauscht, dessen unsere Zauberlehrlinge dann nicht mehr Herr werden. Plötzlich entdecken sie nämlich, daß jede Frühpensionierung doppelt kostet: einmal
das hohe Ruhegehalt des Pernsionärs, zum anderen das Gehalt des Nachrückers. Man bekommt Angst vor der eigenen Courage, und flugs wird die Sache wieder gestoppt. Das war wirklich nicht sehr professionell, Mädels ...

Ist es Inkompetenz, ist es Feigheit, daß die Landesregierungen nicht imstande sind, ihren künftigen Lehrerbedarf, differenziert nach Fächern einerseits, nach Dauer (kurzfristig-mittelfristig-langfristig) an-
dererseits, einmal im Jahr bekanntzugeben? [Da hätte doch das Bundesministerium für Bildung/For-
schung erstmals etwas Sinnvolles zu koordinieren ...
] Ist es unvermeidlich, daß eben noch Einstel-
lungsstop herrschte und dann auf einmal eine hektische Suche nach Lehrern für bestimmte Fächer einsetzt, als habe überraschend der Milzbrand die Planungen zunichtegemacht? Daß plötzlich keine Lehramtskandidaten zur Verfügung stehen, soll mit der schlechten Bezahlung zusammenhängen? Heute?  Bei der  Arbeitslosigkeit? Bullshit:  Es spricht doch nur für die Intelligenz der jungen Leute, wenn sie bei ihrer  Berufs- und  Lebensplanung (oh Verzeihung,  Lebensentwürfe heißt das ja im
heute angesagten  Schickimicki-Deutsch) um den  Bereich der  Lehrerbildung einen großen Bogen
machen, wo Planungssicherheit ein Fremdwort ist. Der deutsche Kulturföderalismus, eine der bösar-
tigsten Hinterlassenschaften der Siegermächte von 1945, erschwert gewiß eine bundesweite Verein-
heitlichung der Lehrerausbildung, aber er verbietet sie nicht. In der umfragegesteuerten Parteiende-
mokratie gelten Verantwortungsbewußtsein und Ehrlichkeit bei Politikern als Behinderung, aber es
gibt sie.
Es wäre Beleg für Verantwortungsbewußtsein, endlich einmal ordentlich ausgearbeitete Bedarfspla-
nungen vorzulegen. Es wäre ehrlich, endlich den Faktor "Zeitarbeit" beim Namen zu nennen.


Zeitverträge sind kein Unrecht

Kein  vernünftiger  Mensch kann verlangen, daß eine  Landesregierung für einen  zeitlich befristeten Mehrbedarf Hunderte von Planstellen auf Lebenszeit besetzt, wenn sich eine Abnahme der Schüler-
zahlen schon klar abzeichnet. Die vernünftige Lösung sind befristete Arbeitsverträge oder halbe Stel-
len, so wie es sie ja im universitären Bereich auch gibt. Und wenn dann eine ebenfalls von der acht-
undsechziger  Hirninsuffizienz  heimgesuchte  Rechtsprechung daherkommt  und  urteilt, daß der Mensch quasi schon mit dem naturrechtlichen Anspruch auf unbefristete Anstellung bzw. Verbeam-
tung auf die Welt kommt? Dann ist es vielleicht an der Zeit, die Kriterien für Rechtsbeugung etwas enger zu fassen. (Täte auch dem Bundesverfassungsgericht gut, so ein kleiner Klaps in Richtung judicial restraint 1) ...)

Eine vernünftige und faire Fristgestaltung (also über mehrere Jahre und mit klaren Kriterien) konnten
die jungen Kollegen verlangen. Was sie bis zu den Urteilen bekommen hatten, waren menschenun-
würdige Hinhalteverträge bei schäbigstem Gehalt. Nur hat die Rechtsprechung hier wieder einmal das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Die Folge wird sein, daß die Bürokratie nun bei Neueinstellungen noch restriktiver verfahren wird. Zum Schaden der Bewerber und der schon/noch unterrichtenden Kol-
legen (auf die man, wie üblich, die Folgebelastung abwälzt).

Das Wort 'Flexibilisierung' ist mir eigentlich verhaßt, weil es aus dem Arsenal einer parasitären Klas-
se stammt, die mit den  Arbeitnehmern nichts  Gutes im Sinn hat.  Aber hier hat es durchaus seine Berechtigung.  Auch wenn es  manchem mißfallen wird:  Teilstellen, etwa  Halbstellen, könnten ein nützliches und wichtiges Instrument für die Flexibilisierung dieses besonderen Arbeitsmarktes sein. Aber Kiel wäre nicht Kiel, wenn man dort nicht entdeckt hätte, daß dieses Instrument ja auch zur einfachen  Jobverdoppelung benutzt  werden kann, also zu rein  psychologisch-sedativen Zwecken. Warum auch nicht: Die Bundesanstalt für Arbeit geht ja bei dieser menschenverachtenden Jobsha-
ring-Masche mit schönem Beispiel voran ...

Verständlich, aber trotzdem heuchlerisch ist die Polemik der Lehrergewerkschaft GEW, die ankla-
gend darauf hinweist, daß die meisten Halbstellen mit Frauen besetzt sind. Also, ich hab' wirklich nichts gegen Frauen, man kann viel Spaß mit ihnen haben; aber daß sie durchschnittlich während vierzehn Prozent ihres Berufslebens auf Steuerzahlers Kosten mit Fortpflanzungsfragen befaßt sind
und einige Jahre früher die Pensionskasse in Anspruch nehmen, das ist doch kein Geheimnis. Die Lebenserwartung einer sechzigjährigen Frau liegt heute bei 84,5 Jahren (die eines Mannes bei 79,2 Jahren) Anders ausgedrückt: In der freien Wirtschaft ist Frauenarbeit billig; im öffentlichen Dienst kommt sie uns teuer;  das sollte das  Gleichstellungsgeflöte ein wenig  dämpfen. Und wie schon
gesagt: Der öffentliche Dienst hat sich nicht beschäftigungspolitisch,  sondern aufgabenorientiert zu definieren.


Heilige Kühe kann man schlachten

Wie auf so vielen anderen Gebieten hängt auch in der Bildungspolitik ein Teil unserer Probleme da-
mit zusammen, daß unser Land von "Zuwanderern" regelrecht überflutet worden ist. Man muß nicht
in die Ausländerviertel unserer Großstädte gehen, wo Grundschuljahrgänge mit 60% Ausländeranteil ganz alltäglich sind, um die Idiotie der rot-grünen "Zuwanderungspolitik" zu begreifen. Tun wir einmal
so, als ob wir die Mär von nur siebeneinhalb Millionen Ausländern bei uns glaubten: Bei einem Bevöl-
kerungsanteil von etwa 10% stellt die Gruppe der Ausländer dank ihrer Vermehrungsfreudigkeit (und
den sogenannten Familienzusammenführungen) etwa 15% der schulpflichtigen Jahrgänge. Da die Herrschaften es mit Schul- und Berufsbildung nicht so haben, hält sich die Belastung nach dem 16. Lebensjahr in Grenzen. (Ihr künftiger Beitrag zur Rentensicherung logischerweise auch ...) Aber der Ausländeranteil an den Hauptschulen, wo zumindest für die regulären Ausländer Schulpflicht besteht, beträgt 17%. Welche Belastung – neben der ohnehin negativen Sozialbilanz – das für unser Grund- und Hauptschulsystem bedeutet, an Mitteln wie an Personal, ist wohl klar.
Was wiegt dagegen schon die kleine Gruppe, deren genetische und soziale Qualitäten ausreichen,
um ihre Kinder aufs Gymnasium zu schicken? Wir sollten uns darüber freuen, aber ein Ausgleich für
die Mehrbelastung unseres Bildungssystems ist es nicht.

In unserer Bildungslandschaft stolpern eine Menge heiliger Kühe herum. Besonders langlebig und kostenträchtig ist die des uneingeschränkten gymnasialen Zuganges für alle und jeden. Von dem Tier sollte man sich baldmöglichst trennen. Damit böte sich die Möglichkeit, die Gymnasien insgesamt und besonders die Lehrer zu entlasten: die Schülerzahlen durch eine gewisse Heraufsetzung der Leistungsanforderungen so weit zu reduzieren, daß die Sache wieder finanzierbar wird. Denn eines ist doch klar: Die Kosten der (gymnasialen) Bildung sind eine Funktion der Schülerzahl.
Ist das wirklich klar?  Nicht allen.  Schuldbewußt werde ich gewahr, daß das, was ich für die  Not-
schlachtung eines Rindviehs hielt, in Wirklichkeit ein bildungspolitischer GAU wäre – von links be-
trachtet jedenfalls. Denn es würde das Eingeständnis bedeuten, daß eben doch nicht alle in gleicher Weise für das Gymnasium begabt sind. Außerdem würde dann die Gesamtschule erst recht das werden, als was sie von Böswilligen immer schon verdächtigt wurde: Auffangbecken für die weniger Begabten. Dabei ist es doch offensichtlich:  Ein Gymnasium mit  20 bis 25%  Schülern, die bega-
bungsmäßig dort fehl am Platze sind, wird unnötig belastet, sein Niveau durch die Rücksicht auf die Lernschwachen  irreparabel heruntergezogen;  für die Realschule gilt Analoges.  Hauptleidtragende dieser "Flucht nach oben" ist die Hauptschule, deren Ruf und Leistungsfähigkeit heute bekanntlich
gar nicht mehr weiter sinken können. Ihr Ende ist absehbar.

Der neueste internationale Vergleich der Schülerleistungen (PISA-Studie) ist für Deutschland vernich-
tend ausgefallen. Da könnten auf die Lehrer in unserem Lande wieder einmal schwere Zeiten zukom-
men. Im Jahre 1997 hatten wir in Deutschland bereits ähnlich schlechte Zensuren eingefahren. Der damalige niedersächsische Kultusminister und  Präsident der  Kultusministerkonferenz,  Prof. Rolf Wernstedt (SPD) hatte auch gleich die Schuldigen ausgemacht: die Schulen, die schlampig arbei-
teten und unfähige Kollegen auch noch deckten. Ich hatte nach dem Lesen der Meldung Tränen in
den Augen. Ich glaube, es waren Lachtränen, bin mir aber nicht mehr ganz sicher. Der Mann hatte
– 's war Wahlkampf, und ich begehre, nicht schuld daran zu sein – vollkommen verdrängt, daß seine Partei uns ein Selbstmord-Schulsystem beschert hat, in dem nicht unfähige Lehrer, sondern eine Riesenmasse von überforderten Schülern gedeckt werden, und zwar nicht auf Wunsch der Schulen, sondern par ordre de Moufti, von oben. Also, da fährt eine Partei mit ihren Bildungskonzepten der Dritten Art ein ganzes Bildungssystem buchstäblich gegen die Wand, und dann waren's wieder mal
die Lehrer! Noch viel dämlicher kann eine Ausrede nicht sein.

Aber Halt! Erste Kommentare von links deuten weitere Steigerungsmöglichkeiten an: Bildungsmini-
sterin Bulmahn erkennt, daß die  Beschulung  mit sechs  Jahren viel zu spät kommt. Wie wär's mit achtzehn Monaten, Frau Kollegin ...? Noch genialer die wackeren Vorreiter des Gesamtschulkon-
zepts
: Das dreigeteilte Schulsystem (Hauptschule-Realschule-Gymnasium) macht alles kaputt. Das
Alles eine Sache der Fahrspur,
Herr Bildungsminister.







Im Verkehrsfunk kommt die Meldung: "Achtung, Autofahrer! Auf der A 24 in Richtung Berlin kommt Ihnen bei Schilda ein Geisterfahrer entgegen ... "
Ärgert sich ein Fahrer, ein Bildungspolitiker: "Einer? Hunderte, ihr Penner, Hunderte!!!"





(ist offenbar so diabolisch wirksam, daß die Gesamtschulen (die doch jetzt so richtig groß rauskommen müßten) eher jämmerlich dastehen!
Übrigens wohl nicht zuletzt deshalb, weil diese ominöse PISA-Studie of-
fenbar den (bei den Gesamtschulen höheren) Ausländeranteil nicht wei-
ter beachtet. Die Welt ist schlecht! Dabei wird das Thema "inkompeten-
te Lehrer" aber doch noch interes-
sant: Es wäre schon segensreich, wenn man alle die KollegInnen umschulen könnte (Karstadt, Ver-
packungsabteilung?),  die noch gar nicht begriffen haben, daß  mit genau diesem  dreigeteilten Bildungssystem  Deutschland jahrzehntelang Spitzenplätze  im internationalen  Vergleich innehatte ...

Wie war es doch vordem  so schön, vor  der  Großen Verdummung von 1968, als man bei solchen
Analysen noch ungestraft die Ceteris-paribus-Klausel anwenden durfte: Wenn die Systemleistung
sich verschlechtert, liegt es meistens an den veränderten Parametern, nicht an den konstant geblie-
benen. Viel zu lange und bei jeder denkbaren Gelegenheit mußten wir Lehrer uns das scheinbar so einleuchtende Gerede der Dauerreformer anhören, die Schule und mit ihr die Lehrer hätten sich per-
manent an die gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen. Ich stelle dagegen fest, daß es die Gesellschaft ist, die bestimmte Fehlentwicklungen rückgängig machen muß. Die Schule sollte bei
der Einschulung mit psychisch und geistig gesunden, vernünftig sozialisierten Sechsjährigen gut zu-
rechtkommen; was soll das törichte Geschwätz von der Früheinschulung? Für die Therapierung der wachsenden Zahl verhaltensgestörter, multimedial verblödeter und konzentrationsunfähiger "Kids"
sind die Eltern und die Kinderpsychologen zuständig, nicht die Lehrer. Erfreulich immerhin, daß das mangelnde Verantwortungsgefühl vieler Eltern endlich einmal enttabuisiert wird. Denn dieser Parame-
ter hat sich tatsächlich sehr verändert, zu Lasten nicht zuletzt auch der Lehrer ...


Entblödung des Abiturs: Weg mit den Blabla-Fächern

Bei einer konsequenten und verantwortungsbewußten Neudefinition des Schüler-Lehrer-Quotienten, d.h. einer vernünftigen Reduzierung der Schülerzahl, könnte man womöglich sogar eine andere hei-
lige Kuh am Leben lassen: den klassischen Bildungskanon des Gymnasiums. Trotzdem, daß ich es
nur frei gestehe: Ich würde da durchaus einige kräftige Schnitte mit Sympathie sehen. Mathematik ist notwendig, Grundkenntnisse in Physik und Chemie sind notwendig, Beherrschung der Muttersprache
und von ein, zwei Fremdsprachen ist notwendig, gewiß auch etwas Kenntnis der Geschichte. Musik, Bildende Kunst, ja auch deutsche Literatur – schön und gut! Aber notwendig? Sport zur körperlichen Ertüchtigung ist wichtig wie noch nie, in dieser dekadenten Fernsehsesselgesellschaft. Dennoch: Es wäre ressourcenschonend und würde, vor allem, zur  Entblödung des deutschen  Abiturs beitragen,
wenn Leistungskurse in musischen Fächern, Sport, aber auch Geschichte, Geographie, Biologie usw. gestrichen würden. Und die Alten Sprachen? Niemand muß Caesars Bellum Gallicum, Homers Ilias
oder Ciceros selbstgefälliges  Quousque tandem  im  Original gelesen haben. Obgleich nicht wenig
stolz auf meine humanistische Bildung, denke ich noch heute mit Unbehagen an die quälend langat-
migen und in der Sache so unwichtigen Abhandlungen von Sallust oder Livius zurück ... Andererseits
  –  wenn ich so den  dilettantischen, ideologischen  Mist lese, den etwa die jüngeren  Autoren  des SPIEGEL als 'Zeitgeschichte' absondern, denke ich schon mal, ein wenig bei dem brillanten Thuky-
dides in die Lehre zu gehen, hätte ihnen nicht geschadet.

A propos  Geschichte: Es ist eine  Binsenwahrheit,  daß die Menschen aus der  Geschichte nichts lernen. Trotzdem hilft ihre Kenntnis beim Verstehen der Gegenwart, wohl auch bei der Extrapolation aktueller Entwicklungen. Insofern ist Geschichte mehr als nur eines der klassischen Bildungsfächer. Doch was sieht der brechende Blick des Historikers im Lehrplan für sein Fach? In Längsschnitten
oder auch schlicht leitmotivisch (Ward Heide Simonis nicht auch schon in Bayreuth gesichtet?) wei-
ten  wuchtige  Windungen der  Wichtigkeit der Jugend  historischen Horizont: das Kind im Lauf der Jahrtausende, wechselnde männliche und weibliche Rollenbilder in der Geschichte, ... Bliebe viel-
leicht noch, wie ich schon an anderer Stelle anregte: die Geschichte des Hühnerauges oder: die Schwiegermutter im Wandel der Zeiten. (Als ich das neulich schrieb, wußte ich noch nicht, daß just
um dieselbe Zeit die damalige Hamburger Justizsenatorin Dr. Peschel-Gutzeit (SPD) sich dafür ein-
setzte, die historische Bedeutung der Ehefrauen berühmter Männer endlich zu würdigen, z.B. durch
doppelte Straßenschilder [Bei Komponistengattinnen vielleicht mit Zusätzen wie: Keine blies bes-
ser als sie, oder so?]
. Echt witzig. Nur, die Frau meinte das bierernst. Es geht doch nichts über so
'ne richtige feministische Realsatire ...) Also, auch da gäbe es reichlich ideologisch verstrahlten Lehr-
planmüll zu entsorgen, zum Teil noch ofenfrisch.

Es bleibt also dabei: Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt in der Zurückführung der quanti-
tativen Belastung auf ein erträgliches Maß: Reduzierung der Schülerzahl durch eine mäßige Selek-
tion, Entrümpelung der Fächer, eventuell, als letzte Möglichkeit, Verkürzung auf 12 Jahre.

Stattdessen kamen für uns in Schleswig-Holstein zwei neue Fächer, Wirtschaft/Politik und Vertie-
fender Unterricht
. Für mich, aus dem Blickwinkel des Historikers, kam mit WiPo einerseits eine durchaus sinnvolle Anpassung des gymnasialen Unterrichts an die Erfordernisse einer modernen Industriegesellschaft; andererseits eine zeitliche Kappung der Fächer Geschichte und Erdkunde, die
bei einer seriösen Abschätzung von Stoffmenge/Zeitbedarf der drei Fächer gar nicht zu verantworten
ist. Es hat sich inzwischen gezeigt, daß der allein sinnvolle Bestandteil dieses Doppelfaches, näm-
lich eine praxisorientierte wirtschaftswissenschaftliche Propädeutik, gegenüber der Politik völlig in
den Hintergrund tritt. Einerseits liegen die fachwissenschaftlichen Anforderungen einige Stockwerke auseinander (über "Partizipation" oder "Fremdenfeindlichkeit" kann schließlich jeder im Akkord sül-
zen, beim Thema "Sozialprodukt" muß man schon etwas Ahnung haben); andererseits ist das "ge-

Kasimir I.
sellschaftsverändernde Potenti-
al" des Faches für unsere linken Rundumerlöser ungefähr so wert-
frei wie Baldrianduft für meinen Kater Kasimir. Nämlich einfach unwiderstehlich! Wie die "Hand-
reichungen für den Unterricht", etwa zur Ausländerfrage 2), aus anderen SPD-Ländern zeigen, ist WiPo als Vehikel für eine mas-
sive politische Indoktrination der Schüler
zu verstehen und sonst gar nichts. In Wirklichkeit hat man hier also ein Reservat
für politisch engagierte junge Mit-
bürger (äh, nun ja ...) geschaffen,
in dem Dünnbrettbohrer ganzjäh-
rig unter Jagdschutz stehen. Man sollte  nicht vorschnell  verallge-
meinern. Aber manchmal malte ich mir schon Szenarien aus wie: Ich veranstalte eine Abiprüfung (so
wie immer: fair, aber ergebnisoffen) über den Untergang der Weimarer Republik oder sowas, und ne-
benan macht jemand in WiPo 13 Punkte mit ein paar vorurteilsfreien Photocollagen über Fremden-
feindlichkeit am Beispiel der Ausgrenzung von nigerianischen Exhibitionisten. Also wirklich.

Läßt sich zugunsten von WiPo immerhin noch einiges ins Feld führen, so muß die Errungenschaft
des "Orchideenfaches" Vertiefender Unterricht in Obersekunda schlicht als kostspieliger Blödsinn eingestuft werden. Ein neues Fach, in dem mangels Lehrplanvorgabe praktisch alles thematisiert werden kann – von Heidegger bis zur ödipalen Freßhemmung bei Blattläusen. So etwas ließe sich in einer Situation gut begründen, wo Lehrerstunden ohne Schwierigkeiten abgezweigt werden können.
In der augenblicklichen Lage aber, da die eigentliche Unterrichtsversorgung seit Jahren nur noch über
eine gnadenlose Verlängerung der Lehrerarbeitszeiten und die Erhöhung der Klassenfrequenzen er-
reicht wird, faßt man sich doch vorsichtig ans Hirn.

Ich wollte runter vom Narrenschiff; ich bin runter.


1) Zum Thema der verlorengegangenen "judicial restraint" (Zurückhaltung bei der Gesetzesauslegung)
bei den höchstinstanzlichen Gerichten müßte langsam ein eigenes Buch geschrieben werden. Hier sei nur
auf zwei besonders schrille Urteile des Bundesverfassungsgerichts verwiesen:
a) Zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr (1994). Dazu siehe Art.87a) Abs.2 GG ...
b) Zur Beitragsentlastung kinderreicher Familien zur Pflegeversicherung (als künftiger Säulen der Renten-
finanzierung, man faßt es nicht ...) (2000)

2) Die geradezu unglaubliche ideologische Durchseuchung derartigen "wissenschaftlich fundierten" Ma-
terials illustriert sehr schön eine "Handreichung", die man als PDF-File unter "www.uni-muenster.de/Graf-
StatProjekt/aktuell/.../Fremdenfeindlichkeit - bei uns nicht?
"  herunterladen  kann.  Aufschlußreich der Bei-
trag des ehemaligen schleswig-holsteinischen Innenministers Wienholtz ...



Wieviel Ausländer braucht das Land?