Flaschenpost vom Narrenschiff

 2003

Angela Merkel - Ministerin für Wahrheit
Martin Hohmann - Wer den Medien vertraut ...
Die Arbeitsmarktreformen greifen
Martin Hohmann und das perfekte Verbrechen
Blutiger Ramadan
Israels weitreichende Selbstverteidigung
Ottmar Schreiber und die Schule der Realsatiriker
Bin Laden in Dresden gefaßt?
Anna Lindh - Prominenz und Tod
Mutationm, Selektion, Parteifunktion
Ulla Schmidts rekursive Selbstaufhebung der Gesundheitsreform
Playboys des Todes
Die Mutter aller Sozialreformen
N24 "informiert" über die Geschichte des Panzers
BILD sagt NEIN zu Italienerwitzen
Irak: Tag der Befreiung wovon?
Berlusconi - is was?
Michel Friedman
Händedruck mit Bush - erlösend
"Strafe Frankreich, ignoriere Deutschland, ..."
Die unsterblichen "Lohnnebenkosten"
Because of the nature of the regime
Deep Throat


Donnerstag, 04.12.03
Angela Merkel, die Umfragen zeigen es, hangelt sich von Pyrrhussieg zu Pyrrhussieg. Nachdem ihr in der Hohmann-Affäre die Fraktion nur widerstrebend folgte (War es ein Sonst-geh-ich-Poker à la Schröder?), mußte sie entgegen ihrer ursprünglichen Planung auf dem Leipziger Parteitag dann doch das eine oder andere Wort dazu verlieren. Nun ja, und wenn man sich schon vom politischen Gegner diktieren läßt, was antisemitisch ist, dann überhöht man das am besten gleich zur Grund-
satzentscheidung über Sein und Nichtsein der Partei. Bringt die Frau es doch tatsächlich fertig, auf dem Parteitag zu verkünden: Die CDU dürfe niemals zulassen, daß die Einmaligkeit des Ho-
locaust in Frage gestellt wird. Und wenn jemand Zweifel nicht ausräume, "dann müssen wir die Konsequenzen ziehen."

Irrtum, Frau Merkel. Weder die CDU noch sonstwer hat ihren Mitgliedern oder sonstwem vorzu-
schreiben, wie der "Holocaust" 1) zu sehen ist. Zwar hat sich im Laufe der Jahrzehnte in Deutsch-
land eine höchstrichterlich abgesicherte Kultur der Rechtsbeugung entwickelt, deren Hauptzweck es ist, ein bestimmtes, dogmatisches Geschichtsbild vom Tabukomplex "Ausch-
witz" (überhaupt vom Dritten Reich) per Dekret und Strafbewehrung gegen jede "Revision" zu schützen. Aber die daraus resultierenden Denk- und Diskussionsverbote werden bei immer mehr, besonders jungen Menschen die Frage auslösen, warum denn die historische Wahrheit und ihre Bewertung gesetzlich angeordnet werden müssen. Deshalb kann der gesellschaftliche Diskurs über die Einmaligkeit des "Holocaust" und das, was wirklich geschah, nicht auf Dauer unterbunden wer-
den. Er darf es nicht. Was das Gesetz oder die Gerichte dazu sagen, ist sekundär: Die Geltung po-
sitivistischen Rechts ist eine bloße Machtfrage, egal wie prächtig die Talare.

Daß alle "historischen" Ereignisse einmalig und nie ganz vergleichbar sind, ist für den Historiker eine Trivialfeststellung. Was Merkel (und mit ihr die Gesamtheit der Fünfundvierziger 2)) uns als gesich-
erte Tatsache vermitteln will, das ist aber die äußerst subjektive These von der "Singularität" der NS-Verbrechen: Sie seien das schlechthin Unwiederholbare, das schlechthin Einmalige, in seiner Entsetzlichkeit nie ganz Erfaßbare, welches sich jeder historischen Parallele, jeder Relativierung (Ins-Verhältnis-Setzung) zu anderen Geschehnissen entzieht. Indem ich hier eine Eingrenzung ver-
suche, treibe ich mit Entsetzen Scherz. Eigentlich will ich nur zeigen, daß keine der von mir ange-
botenen Umschreibungen einen intersubjektiv überprüfbaren Sinngehalt hat. Und was keine genau angebbare Bedeutung hat, von dem kann ich nicht sagen, ob es wahr oder falsch ist. Woran genau erkenne ich, ob etwas unwiederholbar ist, oder nicht vergleichbar mit anderem? Die Behauptung, das ergebe sich eben aus der ganz eigenen Kategorialität des "Holocausts", wird den Skeptiker kaum überzeugen. Denn genau sie führt ja wieder zurück an den Anfangspunkt und vollendet die Zirkeldefinition. Die Anfangsfrage ist ja gerade, was denn nun die Singularität des "Holocaust" ausmacht, inwiefern er etwas kategorial von allem anderen Geschiedenes ist. Holt man aber die Singularität und alle sie umschreibenden Begriffe aus ihrer metaphysischen Ungreifbarkeit zurück in die Welt des empirisch bzw. logisch Überprüfbaren, dann ist festzustellen: Die Geschichte des ide-
ologisch oder religiös begründeten Massenmordes und des Genozids ist so überreich an furcht-
baren Beispielen, daß die Behauptung der absoluten Unvergleichlichkeit der Shoah ihrerseits zur Blasphemie wird.

Dies zu begreifen, liegt sicherlich außerhalb der geistigen Reichweite der Verwalter der Political Correctness, für die Merkel hier gesprochen hat. Es ist aber auch gar nicht nötig, daß sie begrei-
fen. Wichtig ist aber, daß die Gegenelite ihrer Anmaßung entgegentritt und auch öffentlich klar macht, wie irrational die Vorstellung vom singulären "Holocaust" ist, und wie morbide die Idee, man könne (oder müsse gar) immer noch bei dem Wort "Auschwitz" vor Entsetzen erstarren, nachdem man 20, 30 oder 40 Jahre ständig damit konfrontiert wurde. Martin Walser sagte das ganz ähnlich in seiner Skandalrede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998:

"Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut. Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumenta-
lisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken."

(Natürlich brach anschließend ein Entrüstungssturm der einschlägigen Kreise über Walser herein, dem er in seiner granteligen Art ungerührt standhielt. Wer sich über das Verhältnis der Deutschen zur Shoah ernsthaft Gedanken macht, kommt an dieser Rede nicht vorbei. Nachstehend zwei URLs, wo sie zur Zeit noch im Wortlaut zu finden ist: Walser1 | Walser2 ).

Wie schon gesagt: Das Problem ist nicht die in der Tat unüberbrückbare Kluft in der "Holocaust"-Frage; das Problem ist vielmehr die mit Dummheit gepaarte Anmaßung einer Minderheit, ihre Sicht der Dinge für die ganze deutsche Gesellschaft zu kanonisieren und die moralische und intellektuelle Vormundschaft für uns andere zu übernehmen. Und - siehe Fall Hohmann - notfalls mit Repressio-
nen durchzusetzen.

1) Der Ausdruck "Holocaust" in seiner heutigen Bedeutung ist made in Hollywood, nämlich ein durch die gleichnamige "dokumentarische" Fernsehreihe erfolgreich in den Sprachgebrauch gedrückter pseudohistori-
scher Marketingname. In der seriösen historischen oder politischen Diskussion hat er keinen Platz, denn er schließt - ganz wie die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" - wie jeder agitatorische Kampfbegriff die Diskussion aus, indem er das Ergebnis und seine Affektbesetzung schon vorgibt. "Endlösung", "Judenver-
nichtung" oder das jüdische Wort "Shoah" sind korrekter. Zu korrekt?

2) Den Ausdruck "Fünfundvierziger" habe ich mir vor vielen, vielen Jahren ausgedacht. Ich meine damit die
- in sich durchaus heterogene - politische Klasse, die nach 1945 von den Siegermächten an die Macht gebracht wurde, sowie ihre geistigen und politischen Erben. Die Ursprünge dieser Macht liegen darin, daß jahrelang Bil-
dung, Politik, Literatur, Presse, Film, Rundfunk, später Fernsehen uvam. nur mit Genehmigung durch die Besat-
zungsmächte möglich waren. Und die Lizenzen wiederum erhielten (fast) nur bewährte "Antifaschisten". Diese gesellschaftspolitische Oligopolstruktur der ersten Jahre hat sich im Grunde bis heute fortgesetzt und hat leider selbstverstärkende Eigenschaften. Sie ist der Grund für die gefährliche Zweiteilung der deutschen Gesellschaft: Einerseits die politische Klasse mit ihrer dogmatisch am Nullpunkt "1945" festgemachten politischen Theorie (nicht zu verwechseln mit der Praxis, die sich auf drei Kernbegriffe bringen läßt: Inkompetenz, Korruption und Opportunismus); andererseits das pragmatische und daher wenig an der Vergangenheit interessierte Politikver-
ständnis der Mehrheit. Die Kluft wächst ....



Dienstag, 02.12.03
Am 12. November 2003 hat Martin Hohmann in einer persönlichen Erklärung an seine Fraktions-
kollegen versucht, seinen Ausschluß aus der Fraktion zu verhindern. Die Medien sind im allgemei-
nen geflissentlich darüber hinweggegangen, daß der Ausschlußantrag nicht etwa vom Fraktions-
vorstand kam, sondern in einem ziemlich stümperhaften Alleingang von Angela Merkel produziert wurde. Es gereicht den CDU-Abgeordneten nicht zur Ehre, bei dieser Exekution auf Raten mitge-
macht zu haben. Hohmann (und mit ihm offenbar der Großteil der Fraktion) ging nach jedem Kurswechsel der Vorsitzenden davon aus, die Angelegenheit sei erledigt. Merkel und ein paar Schranzen aus ihrem Gefolge sahen das anders.
Die Erklärung ist noch in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich:

(1) Wer den Medien vertraut, kommt darin um. Wer die öffentlich-rechtliche Schlickspur von "investigativen" Sendungen wie "Panorama", "Kennzeichen D", "Frontal21" usw. 1) bis in die Ge-
genwart verfolgt hat, wird kaum überrascht sein, daß Wortbruch und Verleumdung gegenüber Sündern wider die Political Correctness geradezu volkspädagogische Pflicht sind. Umso erstaun-
licher die Naivität, mit der Hohmann, ein Parlamentarier mit langjähriger Medienerfahrung, auf die Diskretionsversprechen deutscher Fernsehjournalisten hereinfallen konnte.
Die ganz offensichtliche Lüge Werner Sonnes, Hohmann habe die Juden als Tätervolk bezeichnet, bildet wohl den Anfangspunkt, von dem aus die einflußreiche Minderheit der selbsternannten Volkserzieher ausschwärmte, um bei der Bevölkerung die Daumenschrauben der reeducation wieder etwas nachzuziehen, die sich seit dem Jahre '45 immer wieder bedenklich lockern.

(2) Multiple Persönlichkeit? Trotz der mit Händen zu greifenden Frechheit bei der "volkspädago-
gischen Umdeutung" des Sachverhalts ist der Fall Hohmann nicht so simpel gelagert, wie es zu-
nächst scheint. Aus dem vorletzten Absatz seiner Erklärung (Hier zum Wortlaut) zitiere ich hier noch einmal einige markante Stellen, die uns wiederum einen besonderen Hohmann zeigen, einen Hohmann, in dessen Kopf es zeitweise wohl doch ziemlich wirr zugeht.

"Im Bundestag habe ich in den letzten fünf Jahren als Berichterstatter für die Entschädi-
gung von NS-Opfern loyal im Auftrag unserer Fraktion und im Sinne der NS-Opfer gear-
beitet."
Das würde ich als glatt gelogen bezeichnen. Es gibt Belege dafür, daß Hohmann in der Entschädigungsfrage einen ziemlich knallharten Abweisungsstandpunkt vertreten hat, so daß ich ihn eigentlich der Industrielobby zugeordnet habe.

Nun ist die Ablehnung jüdischer oder sonstiger Entschädigungsansprüche, für sich genommen, noch kein Indiz für Antisemitismus. Besonders nicht, wenn man es mit einer im Grunde einfach unverschämten Abzockkampagne zu tun hat, wo deutsche Wirtschaftsunternehmen mit Beschlag-
nahme- und Boykottdrohungen erpreßt wurden, und das im Kontext eines ziemlich durchge-
knallten amerikanischen Rechtssystems.

Es kommt mir auch nicht besonders antisemitisch vor, wenn man sich gegen (von deutschen Ge-
richten längst abgelehnte) Nachschlagforderungen wehrt, oder dagegen, daß große Teile der deutschen Entschädigungen nicht direkt an ehemalige Zwangsarbeiter gingen, sondern auf den Konten irgendwelcher obskuren jüdischen Verbände verschwanden, die mit den Geldern nach Gutdünken verfahren konnten. Von den horrenden Anwaltsprofiten einmal ganz abgesehen. Hohmann ist in diesem Zusammenhang offenbar der mächtigen Jewish Claims Conference zu nahe gekommen. Diese begann denn auch folgerichtig schon im Sommer 2001, Hohmann bei der Bun-
desregierung und bei der CDU-Fraktion als Antisemiten zu denunzieren und seinen Abzug aus dem Zwangsarbeiterentschädigungsausschuß "nahezulegen". In einem Brief des Repräsentanten der Claims Conference in Deutschland, Dr. Karl Brozik, an den damaligen CDU-Fraktionsvorsitzen-
den Friedrich Merz heißt es ganz ungeniert: "Bereits bei früheren Gelegenheiten vertrat Herr Hoh-
mann eine Haltung, die für mich wie eine offene Einladung an die Adresse der Rechtsradi-
kalen wirkte: Sei es die Bekräftigung einer "Schlußstrich-Mentalität", seines nationali-
stischen Geschichtsbilds oder das Verwenden von antisemitischen Stereotypen.
" (Zitat Phoenix/Frontal21). Nun ja, Herr Brozik, die Schlußstrich-Mentalität, die finden Sie auch bei mir. Und bei zwei Dritteln der deutschen Erwachsenenbevölkerung ebenso ...

Mit umso größerer Verblüffung liest man dann in Hohmanns Erklärung folgenden Passus: "Als einziger Bundestagsabgeordneter habe ich vor einem Jahr aus Anlaß des 50. Jahrestages der Gründung der Jewish Claims Conference bei der Gedenkfeier an Gleis 17 in Berlin-Grunewald teilgenommen." Eine derartig penetrante Anbiederung ausgerechnet bei diesem amerikanisch-jüdischen Interessenverband, der die angeblich unsühnbare deutsche Schuld ins Finanzielle umsetzt, - das ist ebenso wirklichkeitsfremd wie unappetitlich.

Im vorletzten Absatz hebt Hohmann nochmals hervor, daß er sogar dem (in meinen Augen höchst überflüssigen und staatsrechtlich ziemlich idiotischen) 'Staatsvertrag' zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden zugestimmt hat:
"In meiner Bundestagsrede vom 6. Juni 2003 zum Staatsvertrag der Bundesrepublik mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland habe ich aus tiefster Überzeugung das Buch Gene-
sis zitiert, um warnend die Unantastbarkeit der Juden hervorzuheben. Danach sagt Gott zu Abraham: 'Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Ich will segnen, die dich segnen, wer dich verwünscht, den will ich verfluchen.'"

Zugegeben, bei mir stehen sämtliche Religionen absolut gleichberechtigt in der Abteilung 'Paranoia, Sonderformen' beisammen. Aber auch auf jemanden mit mehr Affinität zum frommen Wahn müßte diese Innigkeit Hohmannschen Glaubens etwas befremdlich wirken.

Das Ganze sieht verdammt nach einer frömmelnd überkompensierten Aggression gegen die Juden aus. Aggression ist, wohlgemerkt, nicht Antisemitismus. Aber da ist jemand, der einerseits mit sei-
ner (durchaus berechtigten) Zurückweisung jüdischer Sühneforderungen und jüdischer Opferarro-
ganz bis an die Grenze der Taktlosigkeit geht. Und derselbe Jemand zelebriert dann andererseits genau die schwülstigen Sühnerituale, deren er doch, da schuldlos, gar nicht bedarf - wie paßt das zusammen?

Objektiv ist Hohmanns Rebellion gegen den Terror der Schuldneurotiker, gegen das Hirngespinst von der "Singularität" des "Holocaust" verdienstvoll gewesen. Nur hätte man sich als Protagonisten eine weniger zwiespältige Persönlichkeit gewünscht.

1) Ich denke da nur einmal an die Hetzkampagnen gegen den baden-württembergischen MP Filbinger, den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, den absolut integren Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger (1988), den angesehenen Historiker Ernst Nolte (1986ff.), den mutigen Martin Walser (1998), soge-
nannte "Kriegsverbrecher" wie Friedrich Engel (Hamburg, 2002) oder auch die unflätigen Haßtiraden gegen Ronald Schill nach seinem Sturz, die mit Berichterstattung überhaupt nichts mehr zu tun hatten.



Donnerstag, 20.11.03
Die Arbeitsmarktreformen greifen. Die Oktoberzahlen der Bundesanstalt für Arbeit – Ach-
herrje, das heißt doch jetzt: BCCFAIM (Bundes Communications Center für Flexibles Arbeits-
markt Informations Managemen
t) oder so, na jedenfalls stark trendy – sind doch ermutigend: Im Oktober waren 4,152 Millionen Arbeitslose registriert. Dies waren 222.000 mehr als vor einem Jahr. Das zeigt, wie Arbeitsminister Clement betonte, daß die Arbeitsmarktreformen der Bundes-
regierung zu greifen beginnen. Hach nein, so stimmt das ja gar nicht! Es sind natürlich 55.000 we-
niger als im September dieses Jahres, und dann stimmt das ja auch wieder mit der Wirkung der Reformen.

Und die Zunahme um 222.000, die zeigt andererseits, daß eben immer mehr Bürger die Botschaft des Bundeskanzlers und seines Parteisekretärs Olaf Scholz verstehen und umsetzen: "Soziale Ge-
rechtigkeit darf nicht als Arbeitsplatzgarantie oder mehr Sicherheit mißverstanden werden, sondern soziale Gerechtigkeit bedeutet mehr Freiheitsspielräume zur Selbstverwirklichung". Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! – das ist ja hochaktuell!!! Sehr passend zu diesem SPD-Parteitag. Die knak-
kige Balkonbräune der Arbeitslosen werde ich nächstes Frühjahr wesentlich positiver sehen als bisher. Das sind ja alles Freiheitskämpfer.
        Freiheit!
        Selbstverwirklichung!
        Stütze!
        Das Leben ist schön!

(Anm. d.V.: Die Daten stammen von dpa/Tagesschau, nicht von Radio Eriwan)



Dienstag, 18.11.03
Martin Hohmann und das perfekte Verbrechen. Die Ereignisse um diesen Schlingel, der doch tatsächlich seinen Antisemitismus derartig raffiniert zum Ausdruck bringt, daß man ihn einfach nur noch mit esoterischen Mitteln nachweisen kann, und nur für Eingeweihte des Neunten Kreises,
- also diese Ereignisse haben mich durch permanente Lähmung des herunterhängenden Unterkie-
fers bisher am Schreiben gehindert. Als Notbehelf diene der im Doku-Teil hinterlegte Wortlaut der Hohmannrede und ein "Halboffener Brief" an eine regionale Tageszeitung.



Dienstag, 28.10.03
Der blutige Ramadan. Es ist nahezu unmöglich, in dem Gesamtbild des Terrors im Irak so etwas wie eine innere Logik zu entdecken. Der okzidentale Deutungsansatz wird bei allen Aktionen die Grundbeziehung von Zweck und Mittel suchen. Und der Suchende ist irritiert, wenn er keine fin-
det. Zwischen den Extremen der Guerillaangriffe gegen die angloamerikanischen Invasoren (die ja nun wirklich keiner näheren Begründung bedürfen) und auf der anderen Seite der Ermordung von Dutzenden, ja Hunderten unbeteiligter Landsleute (die nun wiederum in ihrer selbstzerstörerischen Sinnlosigkeit keiner Erklärung mehr zugänglich ist) scheint das einzig Verbindende zu sein, daß der Zweck das Töten selbst ist. Welch wundervolle Variante zu einer der Lieblings-Nonsensmeta-
phern der neodialektischen Linken: Der Weg ist das Ziel.

Damit zusammen hängt als weitere Gemeinsamkeit die Primitivität, die geringe Effizienz der meisten Anschläge. Mit Ausnahme des brutalen Massakers von Nadschaf Ende August mit seinen über 100 Toten wird zum Glück für die Besatzer wie für die Bevölkerung selbst nicht nur die Be-
schränktheit der Mittel erkennbar, sondern vor allem und durchgängig eine ziemlich "arabische" Gleichgültigkeit hinsichtlich der technischen Durchführung, die Unfähigkeit zu einer auch nur mittel-
fristigen Planung und Koordination. Also zu eben dem, was den 11. September in der Geschichte des arabischen Terrors so absolut einmalig und furchteinflößend macht.

Wenn es für die Angriffe gegen internationale Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz überhaupt eine Erklärung gibt, dann vielleicht die verbreitete Unkenntnis, wer für wen arbeitet. Oder die (unbegründete?) Unterstellung, deren Mildtätigkeit habe denselben Alibicharakter wie die der Amerikaner.

Die Attentate gegen die UNO und ihre Repräsentanten hingegen sind so überraschend nicht. Ge-
wiß versuchen auch die UN-Mitarbeiter selbstlos zu helfen. Und hat die UNO sich nicht hartnäk-
kig Bushs Invasionsplänen widersetzt, ja zum Schluß im Sicherheitsrat ihre Zustimmung klar ver-
weigert? Jedoch, wer nur diese Teilaspekte sieht, der läßt sich von der primitiven, eruptiven Emo-
tionalität der meisten Araber dazu verleiten, ihr Gedächtnis und ihre Intelligenz zu unterschätzen.
Zu offensichtlich war doch, daß es im Sicherheitsrat gar nicht um Fairneß gegenüber dem Regime Saddams ging, sondern darum, den in der Bushdoktrin implizierten Bedeutungsverlust der Verein-
ten Nationen abzuwehren. Und vor allem: Das Bild, das die Iraker von der UNO haben, hat auch ohne das baathistische Propagandafernsehen eine historische Dimension, und die reicht wesentlich weiter zurück als die wenigen Monate des Gezerres um die Waffeninspektionen. Über mehr als ein Jahrzehnt hat sich die UNO bei den Arabern (sogar bei vielen Saddamfeinden) als skrupellose Komplizin der Amerikaner bei der völkerrechtswidrigen Unterdrückungspolitik gegen den Irak verhaßt gemacht.

Blenden wir einen Augenblick zurück, zum ersten Golfkrieg (den manche auch den zweiten nen-
nen, nach dem gegen den Iran). Die Älteren werden sich noch daran erinnern, wie am 27. Oktober 1990 vor dem UNO-Sicherheitsrat eine Zeugin erschien, eine junge kuweitische Krankenschwe-
ster, die, immer wieder in Tränen ausbrechend, der Versammlung ihre traumatischen Erfahrungen beim irakischen Einfall in das Ölscheichtum Kuweit berichtete. Davon berichtete, wie die irakische Soldateska auf der Kinderstation vor ihren Augen die Brutkästen zertrümmerte, dutzende kleine Kinder totschlug ... Und keinem der anwesenden Schwachköpfe fiel auf, daß das arme Ding, wel-
ches sich auf wundersame Weise bis ins ferne Amerika hatte retten können, fließend Englisch mit amerikanischem Akzent schluchzte. Es handelte sich um die Tochter des kuweitischen Botschaf-
ters, und die Story war mit einer PR-Agentur erfunden und eingeübt. Vor dem amerikanischen Kongreß war zwei Wochen zuvor die gleiche Soap erfolgreich gelaufen.

Warum unternahm die Regierung von George Bush sen. solche Anstrengungen, die nationalen und internationalen Entscheidungsgremien wie auch die Öffentlichkeit so unverfroren zu manipulieren? Weil das angestrebte Ziel - der Krieg - nur mit Emotionen zu erreichen war, nicht aber mit bloßen Fakten. Denn von der Faktenlage her war Saddams Einmarsch in Kuweit nicht viel mehr als das, was die Militärs vielleicht eine "bewaffnete Erkundung" nennen würden: keine blutigen Schlachten, keine Massaker. Wirklich schlimm eigentlich nur die Vertreibung von ein paar kuweitischen Schmarotzerfamilien, die dem Westen in der Ausbeutung der Ölvorräte symbiotisch verbunden waren.

Umso erstaunlicher die "internationale" Reaktion: Nach der gewaltsamen Befreiung Kuweits durch die mit UNO-Mandat ausgestatteten US-Truppen, nach dem Vorstoß weit nach Irak hinein, der 75% von Saddams Streitkräften samt Ausrüstung vernichtete, war der Irak auf das Niveau einer regionalen Mittelmacht zurückgebombt, die weder einen iranischen noch einen syrischen Angriff überstanden hätte. Doch der eigentliche Skandal begann erst jetzt. Die UNO hat zu keinem Zeitpunkt eine völkerrechtlich abgesicherte Befugnis gehabt, den Irak (oder sonst einen souveränen Staat) einseitig zwangsabzurüsten oder Kontrollen zu verlangen. Das war bis zur jetzigen Invasion eine reine Frage der Gewaltverhältnisse, mithin der Erzwingbarkeit. Erst recht erlaubt die Charta der Vereinten Nationen keine Sanktionen in Gestalt von Hungerblockaden zur Durchsetzung solcher Machtansprüche. Die Befugnis zu Sanktionen war mit dem irakischen Rückzug aus Kuweit erloschen. Zulässig gewesen wäre höchstens die sanktionsbewehrte Befriedigung kuweitischer Wiedergutmachungsansprüche aus der irakischen Ölförderung. Die makabre Komik der monatelang am Kochen gehaltenen Massenpsychose um Saddams eventuelle Massenvernichtungswaffen liegt darin, daß der Mann eigentlich niemandem darüber Rechenschaft schuldig war, weder den Vereinigten Staaten noch der UNO. Die erpres-
serische und grausame Sanktionspolitik der Vereinten Nationen von 1991 bis heute ist eine einzige Geschichte von Rechtsbruch und Heuchelei.

Die Weltgemeinschaft gibt sich betroffen über die Anschläge gegen UN-Einrichtungen. Dabei durfte man doch hoffen, mit einigen tausend Sack Reis und ein paar Millionen Einheiten Penicillin
- moderne Glasperlen für die Wilden sozusagen - die kleinen Verstimmungen bei den befreiten Irakern schnell zu beseitigen. Wirklich? Zwischen der UNO und dem irakischen Volk ist eine Rechnung offen, eine Rechnung mit vielen Hunderttausend Toten, davon über 500.000 Kinder, die zwischen 1991 und 2003 der gnadenlosen Embargopolitik der UNO (nicht allein der Amerikaner) zum Opfer gefallen sind. (Siehe meine Anmerkung zum 3. April.).

Und dann ist da auch noch die Rechnung über Tausende totgeborener oder schwerstens mißgebil-
deter Kinder, besonders im Raum Basra. Sie sind eine Hinterlassenschaft der panzerbrechenden Munition aus abgereichertem Uran, welche die Amerikaner bei der Vernichtung von Saddams Panzerverbänden und Bunkeranlagen schon 1991 so verschwenderisch einsetzten, daß sie noch zweihundert Jahre lang Oberflächenschichten und Grundwasser (und mithin die Nahrungsketten) im fruchtbaren Tiefland des Schatt-el-Arab verseuchen wird. Auch als das entsetzliche Ausmaß dieses irakischen Tschernobyl allmählich deutlich wurde, hat die UNO weder ein Hilfsprogramm zur Dekontamination der Region gestartet, noch erlaubte sie den Irakern den Import des notwen-
digen Materials. Manche Fachleute sehen heute die einzige Lösung in einer vollständigen Evaku-
ierung des Gebietes für mehrere Generationen ...

Nicht nur George Bush Vater und Sohn sowie Tony Blair, nein auch dem geschniegelten Kofi Annan und seinem Verein von hauptberuflichen Wichtigtuern sollte man zu Weihnachten ein Photo-
album schenken. Ein Album, in dem sie die sonderbaren Wesen bewundern können, die da Jahr um Jahr am unteren Euphrat das Licht der Welt erblicken - so sie denn Augen haben: Mikroze-
phalen, Babies mit offener Wirbelsäule, fehlenden, überzähligen, deformierten Gliedmaßen oder ohne Augen. Die enormen Krebsraten nicht zu vergessen. (Die Leukämiehäufigkeit sei 5 bis 6mal höher als normal, zitiert gerade die linke "Junge Welt" einen Ärztebericht.)


Die UNO - Wer hätte es mehr verdient!
Vielleicht würden die wackeren Architekten der neuen Welt-
ordnung und ihre trojanischen Esel (zu denen in Deutschland vor allem die CDU zählt) beim Anblick solcher Dokumente besser verstehen, warum auch die UNO bei den Arabern so tödlich verhaßt ist.

Die einzige Chance, ein wenig Glaubwürdigkeit zurückzuge-
winnen, war, gegenüber dem amerikanischen Anspruch hart zu bleiben, die UNO solle die Invasion nachträglich durch entspre-
chende Resolutionen und/oder aktive Teilnahme absegnen. Doch wieder ist der Verein primär mit sich selbst und seiner ungeheu-
ren Wichtigkeit beschäftigt: Wenn schon nicht die "führende Rolle der UNO" erreichbar ist, so ist doch "eine wichtige Rolle" auch nicht zu verachten. Und auch die französisch-deutsche Oppo-
sition schmilzt im warmen Lichte von Bushs Lächeln dahin wie der sprichwörtliche Schnee in der Frühlingssonne. Die Antwort der Terroristen war prompt und deutlich: "Wir haben euch ver-
standen!"



Montag, 20.10.03
Israels Luftangriff auf syrisches Gebiet: Die Saat des George W. Bush und seines grenzüber-
schreitenden Selbstverteidigungsrechtes, das keine Gesetze mehr braucht, geht auf. Ganz wie der große Bruder nimmt Israel (jetzt mit der nagelneuen Legitimation der Bush-Doktrin!) für sich das Recht in Anspruch, Terroristen zu jagen und zu vernichten, wo immer sie sich befinden. Militäri-
sche Aggression gegen das Staatsgebiet eines souveränen Staates? Sorry, aber wer Terroristen Unterschlupf gewährt, für den ist das bisherige Völkerrecht suspendiert. Fragt sich nur, was die selbsternannten Ordnungshüter der Weltgemeinschaft sagen würden, wenn z.B. Syrien die israe-
lischen Militärstützpunkte zu "Terrorlagern" erklären und bombardieren würde. Nein, fragt sich eigentlich nicht, die Sachlage ist völlig klar: Sowas dürfen nur die Guten.
Umso beunruhigender ist die Frage, ob und um welchen Preis die westliche Zivilisation die Geister wieder los werden wird, die ein jeglicher rationalen Kontrolle entrückter US-Präsident und seine Gefolgschaft da gerufen haben.

Man darf hier nicht Äpfel und Birnen verwechseln: Der israelische Luftangriff gegen Syrien ist - da gibt es nichts zu deuteln - die klassische Eröffnung eines Angriffskrieges, wofür spätestens seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen von 1946 die Verantwortlichen gehängt werden müßten. (Gleiches gilt logischerweise noch vermehrt für Bushs Überfälle.) Übrigens, das Argument, zwi-
schen Syrien und Israel bestehe der Kriegszustand seit dreißig Jahren fort, zeugt mehr von Chuzpe als von Rechtskenntnis: Mit gleicher Begründung könnte Italien (die Nato hilft) zumindest den Westteil der alten römischen Provinz Syrien kassieren. Bei Lichte besehen, möchte mir der Denk-
ansatz sogar gefallen. Vielleicht wegen Ostpreußen ... ?

Anders liegt die Sache bei den israelischen Repressalien gegen die (vermeintlichen) Hamas-Akti-
visten, überhaupt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung. Hier befindet sich Israel - Ironie der Geschichte - in der gleichen Notwehrsituation wie seinerzeit die deutsche Wehrmacht in den von ihr besetzten Gebieten. [Zumindest in West- und Südeuropa waren die Mordaktionen der Partisanen nicht der verzweifelte Widerstand einer vom Genozid bedrohten Bevölkerung, sondern dienten der Erreichung politisch-militärischer Ziele oder der Befriedigung von Haß und Rachedurst. Das, was heute noch in Deutschland im Kontext einer endlos unsere Vergangenheit "bewältigenden" politischen Bett-
nässerkultur als grund- und sinnlose Massaker, also "Kriegsverbrechen" der Wehrmacht angelastet wird, waren in aller Regel Repressalien für terroristische Angriffe von Nichtkombattanten, also Zivilisten, die anschließend wieder - Maos 'Fisch im Wasser' läßt grüßen - spurlos in der Zivilbevölkerung untertauchten. So unbegreiflich heute die Härte der Vergeltung an Unschuldigen erscheinen mag - sie war und ist, so sie denn Vergeltung für Terror war, durch das Völkergewohnheitsrecht gedeckt.
]

Wie gesagt, die israelischen Gegenschläge in den Palästinensergebieten, so barbarisch sie auch sind, haben als Defensivhandlungen doch eine andere Qualität als die nackte Bösartigkeit der arabischen Morde an harmlosen Zivilisten, die ja nichts weiter sind als der Vollzug einer Haßide-
ologie. Zweifellos liebäugelt man auch in amerikanischen Kabinettssitzungen (natürlich erst nach dem gemeinsamen Gebet!) mit dieser Option der harten Hand zur Brechung des irakischen Widerstandes. Aber sowas kann man schlecht machen, wenn man doch als Freund und Befreier ins Land gekommen ist, gelle?

Apropos Israel: Im Laufe der Jahre hat sich meine ursprünglich eher pro-israelische Einstellung erheblich relativiert. Ich denke heute, daß es den ganzen Ärger, die vielen Toten nicht wert war, den Juden ihren absurden zionistischen Traum vom eigenen Staat zu erfüllen. Es wäre allen besser gedient gewesen - auch den Juden -, wenn man, als das noch ohne weiteres möglich war, eine jüdische Enklave mit Autonomiestatus innerhalb eines arabischen Staates (also etwa Jordanien) geschaffen hätte. Also gewissermaßen die exakte Spiegelung der heutigen Situation. Mit dem Unterschied, daß die Existenz einer unter US-Protektorat in eigenem Autonomiegebiet siedelnden jüdischen Minderheit innerhalb eines arabischen Staates für die arabische Welt nur ein Kollateral-
schaden der Entkolonialisierung gewesen wäre.

Gewiß, diese unglückselige Staatsgründung läßt sich nicht mehr mit vertretbarem Aufwand rück-
gängig machen. Einiges andere hingegen kann und sollte geändert werden. Zum Beispiel die schikanöse, von geradezu rassistischer Verachtung geprägte Politik der Israelis gegenüber den Palästinensern, die fester Bestandteil des israelischen Alltags ist. Es ist kaum zu begreifen, daß ausgerechnet das Volk der Juden nach all dem, was es selbst durchlitten hat, auf eine solche Stufe der praktizierten Menschenverachtung herabsinken kann.

Womit wir abschließend bei einer weiteren, höchst makabren historischen Analogie angekommen wären: In der von Oberst Hoßbach aufgezeichneten Führerbesprechung vom 5. November 1937 sagt Hitler, "... Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der deutschen Volksmasse und deren Vermehrung. Somit handele es sich um das Problem des Raumes ..." und etwas später: "... Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten ..... bewiesen."
Einen merkwürdigen Lehrmeister haben sie sich da ausgesucht, die Juden....

Wie auch immer - solange die israelische Landraubpolitik nicht gestoppt bzw. zurückgeführt wird, werden auch weitere "Road Maps" dasselbe bedeutungslose Geschreibsel bleiben wie die jetzige. Der neue Eiserne Vorhang ("Defence Fence") kann kein echter Schutz sein, solange er primär 250000 israelische Siedler abschirmt, die dort siedeln, wo sie nichts zu suchen haben: jenseits der Grenze von 1967, in Palästina. Die israelische Landnahme- und Siedlungspolitik ist nicht nur realitätsblind; sie ist überdies weder ethisch noch historisch zu rechtfertigen. Israel kann in keiner Weise Ansprüche auf diese Gebiete geltend machen, sondern praktiziert hier reinsten Blut- und Bodenfaschismus. Wer die Ursachen des arabischen Terrorismus bekämpfen will, muß hier an-
setzen.



Mittwoch, 08.10.03
Die linke Opposition innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion um den Altrebellen Ottmar Schreiner und Andrea Nahles von den Jusos kämpft tapfer und medienwirksam gegen den neoliberalen Neuen Kurs, wohl wissend, daß sie die Reformen nicht aufhalten werden. Sehr brav, obwohl sie (wie die gesamte linke "sozialstaatliche" Reaktion bei Rot-Grün und CDU/CSU) gar kein Gegen-konzept haben. Der Vorwurf der Ideenlosigkeit, den sie gegen Schröder/Müntefering erheben, fällt auf sie selbst zurück. Vielleicht sollte ich diesen Wochenend-Ökonomen tatsächlich einmal einen kleinen Tip mailen, wo's hakt:

Ob Alter, Gesundheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit - für all diese Bereiche der Da-seinsvorsorge gilt gleichermaßen: Die Finanzmittel der Versicherungsträger werden (bei wachsen-den Empfängerzahlen) immer geringer, traurig, traurig. Aber niemand wird stutzig darüber, daß gleichzeitig das Bruttosozialprodukt wächst und wächst! Mein Gott, muß man blöd sein, um nicht zu sehen, daß die Unternehmer, die besitzende Klasse überhaupt, den Sozial-staat schlicht und ergreifend über den Tisch ziehen! Wie blöd muß man sein, um nicht zu sehen: Unser soziales Problem, das sind nicht die arbeitsscheuen Arbeitslosen oder die vielen Rentner; nein, es sind die Unternehmen, die Jahr um Jahr Hunderttausende von Arbeitsplätzen (und eo ipso Sozialbeiträgen) vernichten, sei es durch Rationalisierung, sei es durch Verlegung ins Billigausland. Es sind dieselben Unternehmen, die seit zwei Jahrzehnten im Komplott mit den Politikern die Arbeitslosigkeit "bekämpften" indem sie für jeden Neueingestellten einen älteren Arbeitnehmer in Frührente schickten. Und als Krönung des überparteilich zur Staatsräson erklärten Kasperletheaters werden dann auch noch die unglaublich dummen und dreisten Belehrungen der Herren Hundt, Rogowski usw. von den Arbeit-geberverbänden und der von ihnen gesponsorten "Experten" in Demut entgegengenommen und ernsthaft in sämtlichen Talkshows diskutiert.
Aber von alledem mehr und etwas detaillierter demnächst beim eigens dafür vorgesehenen Büro für Umsturz und methodischen Segen (www.bfumsturz.de).

Doch wozu sich ereifern? Es herrscht doch seit kurzem allgemeine Gewißheit: Die sozialen Pro-
bleme unserer alternden Gesellschaft müssen einfach durch Umverteilungen innerhalb der unteren und mittleren Einkommensschichten gelöst werden, eine Kürzung hier, eine Beitragserhöhung da. Diese göttliche Offenbarung ist offensichtlich gleichzeitig über sämtliche Fraktionen des Bundes-
tages gekommen. Das Fähnlein der sechs Aufrechten, welche die Erleuchtung offenbar nicht rechtzeitig erwischt hat, ist aber, wenn man's recht betrachtet, über ein paar kleine Schönheitspflä-
sterchen für das Reformwerk auch nicht hinausgelangt: Die neue Zumutbarkeit soll Arbeitslosen ab einem bestimmten Alter doch lieber nicht zugemutet werden. Na toll, das ist genau das moralische Feigenblatt, das man braucht, um ungestört die bisherigen Arbeitslosen in die neue Siegerklasse der "working poor", also der Minijobber hineinzwingen zu können. Schwupp! Arbeitslosenzahl schon wieder gesenkt!
Nun aber kommt's. Neigen wir uns in Ehrfurcht vor dem systemstürzenden paradigmatischen Neubeginn, den just diese linken Insurgenten noch vor einigen Wochen zur conditio sine qua non erklärten: Die einschneidenden Maßnahmen der Gesundheitsreform und der folgenden müßten in mehreren Stufen eingeführt werden, verteilt auf zwei oder drei Jahre.

Tja, auch wenn man davon in den letzten Tagen nichts mehr hörte: Soviel systemtheoretischer Durchblick (ein Schurke, wer da etwa an Mogelpackungen, Salamitaktik oder ähnliches denkt) zwingt mich auf die Knie, und reinste Poesie nur noch fließt mir von der Lippe:

Weit holt' ich aus mit den Händen, zu spenden tosenden Beifall
all diesen tapferen Helden, sechs an der Zahl, die, einsam,
felsgleich dem Druck der Reformer trotzen und Einhalt gebieten der
Hoffahrt Schröderscher Planung. Letzte soziale Werte zu
schützen mit ihren Leibern, gürtet sich grimmig zum Kampfe das
Häuflein der Dissidenten: "Fürchtet, Genossen, das Rasen der
zornigen Gottheit, sobald sie gewahr wird der grausigen Untat!
Stürzen wollt ihr die Alten und Kranken von ragender Mauer ins
Elend geschrumpfter Versorgung und steigern der Beiträge Lasten?
Niemals darf solches geschehen! Zu plötzlich käme das Unheil, drum:
Soll es die Sterblichen treffen, so laßt es sie mählich ereilen,
schrittweise, zwar unentrinnbar. Man nennt das 'gehupft wie gesprungen'.
Füget euch nun unsren Worten. Wo nicht, entscheide der Agon."

Müßig erschien jeder Beifall, herab sank die Hand mir, die kräftige.
Wanderer, kommst du nach Schilda, berichte, du habest die Helden hier
liegen geseh'n, wie sie fielen im Kampf um die Gunst ihrer Wähler.
Göttergleich aber erheben sie sich, unversehrt, und beraten nun
lärmend den kommenden Streich, davon künden werden die Dichter.
Wahrlich! Unsterblich sind doch unsre Götter. Ganz wie die Dummheit.

Ceterum censeo anno 2003


Dieses Todesurteil ist ein Skandal! Als kompromißloser Gegner der Todesstrafe verlange ich, daß die Vollstreckung auf Montag verschoben wird!




Dienstag, 30.09.03
Bin Laden in Dresden gefaßt? Der unsympathische Zeitgenosse, der im Juni eine richtige Bombe im Dresdener Hauptbahnhof deponiert hatte, ist glücklicherweise gefaßt. Das ist schön so, denn wenn ich jetzt Lust auf eine Reise nach Elbflorenz hätte, so könnte ich das Vorhaben ohne Bombenfurcht in die Tat umsetzen. Nun will ich zwar gar nicht verreisen, nach Dresden sowieso nicht, aber das Bewußtsein, gegebenenfalls, wenn ich vielleicht doch verreisen möchte, dabei nicht mehr möglicherweise von dem bösen Osama bedroht zu werden, erhöht doch beträchtlich das potentielle Wohlgefühl auf der hypothetischen Reise.

BILD vom 12. Juni 2003


Andererseits - der Verhaftete war ja nun doch nicht Osama Bin Laden. Sofort stellt sich in der Magengegend wieder dieses seit dem 11. September omnipräsente Gefühl des Bedrohtseins ein! Wenn die Dresdener Bombe nicht von Al Qaida war, muß ja damit gerechnet werden, daß das Terrornetzwerk vielleicht gerade jetzt, in diesem Augenblick, letzte Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag an ganz anderem Orte trifft! In Zwickau etwa. Oder in Kaiserslautern? Oder in Walsrode (die armen Vögel!)? Oder überhaupt. Gerade die Tatsache, daß sie in Dresden, wo ich nicht hinwollte, nicht zugeschlagen haben, erhöht ja die Wahrscheinlichkeit, daß es woanders passieren könnte, wo ich gerade hin will, etwa bei ALDI. Wie gut, daß wir einen Pizzadienst haben, der frei Haus liefert! Andererseits - in der Pizzapackung könnte ja auch etwas drin sein, schließlich kennt man das ja aus dem Fernsehen. Andererseits .....

Kurz - die universelle Paranoia steht mit ihren Möglichkeiten erst am Anfang. Aber die Koalition gegen das Böse, unterstützt von den alerten Medien (s.o.), arbeitet dran.

Nun ist Osama Bin Laden mit seinem kalten Haß auf alles Amerikanische mit großer Wahrschein-
lichkeit der Drahtzieher hinter einigen sehr blutigen Anschlägen der letzten zehn Jahre gewesen. Merkwürdig ist jedoch, daß von den amerikanischen "Beweisen" für seine Verantwortung am WTC-Attentat bis heute weit und breit nichts Nachprüfbares zu sehen ist. Er hat auch nie die Urheberschaft beansprucht, sondern vielmehr die Täter "nur" mit Inbrunst bewundert und gelobt. Genausowenig konnte jemals auch nur die geringste Verstrickung der afghanischen Taliban oder Saddams in das Attentat vom 11. September glaubhaft gemacht werden.

Und die Al Qaida? Am Anfang stand das WORT. Vor dem 11. September kannte niemand, den ich kenne, diesen Namen. Dafür ist die Zurückhaltung umso auffälliger, mit der Fachleute – Kenner der islamischen Welt, nichtamerikanische Diplomaten und Geheimdienstleute – in Inter-
views auf das Stichwort Al Qaida reagierten. So sehr sich die Journalisten auch anstrengten:
Kaum jemand wollte von "der Terrororganisation Al Qaida" sprechen, man benutzte vorsichtige Umschreibungen.

Was heißt das eigentlich, Al Qaida? Schon in Wahrmunds Handwörterbuch Arabisch-Deutsch von 1898 findet sich "qa'ida" als "Basis, Fundament, Grundregel" u.a., die moderne Bedeutung ist oft so etwas wie "Zentrale". Es gibt ein paar vage Hinweise, daß der Ausdruck gelegentlich für das jeweilige Hauptquartier Bin Ladens oder eines seiner Vertrauensleute verwendet wurde. Belege gibt es nicht.
Irgendwie paßt das Ganze nicht in das Schema, nach dem die arabische Mentalität sich in den Namen ihrer Kampfbünde artikuliert: Die heißen etwa Dschihad (heiliger Krieg), Hamas (Begeis-
terung, Eifer), Hizb'ullah (Partei Gottes), Ittihad al Islam (islamische Einheit) [woraus bei einer großen deutschen Zeitung umgehend 'mystische Vereinigung mit Gott' wurde... ], Ansar al Islam (Vorkämpfer des Islam) usw. - alles pathetische Chiffren für Kampfeswillen und verschwo-
rene Gemeinschaft. Qa'ida kann dagegen höchstens eine abstrakte theologische Programmatik ausdrücken, mehr nicht - ziemlich untypisch für den konspirativen Zweck, scheint mir.

Von allen "westlichen" Geheimdiensten hat möglicherweise nur der israelische Mossad Leute, die fließend Arabisch sprechen. Es sollte mich nicht wundern, wenn der Ursprung von Al Qaida in einem nur halb verstandenen Abhörprotokoll läge.

Falls die "Terrorismusexperten" der CIA oder wer auch immer sich den dämonischen Geheimbund aus den Fingern gesogen hat, wirklich selber an die Existenz einer "Organisation" oder eines "Netz-
werkes" geglaubt haben, so gewannen offensichtlich bald mehr pragmatische Überlegungen die Oberhand: Ähnlich Saddams angeblichen Urankäufen in Afrika eignete sich das Phantom Al Qaida bestens dazu, ein Gefühl der Bedrohung zu schaffen. Organisation? Netzwerk? Da sollte man am ehesten noch unter den Imamen der fundamentalistischen Gemeinden fündig werden, die aber mit Osama nichts zu schaffen haben wollen. Aber man wird wohl kaum die behaupteten weltumspan-
nenden mafiosen Strukturen entdecken. Man kommt der Wahrheit vielleicht näher, wenn man sich ansieht, wie die Vendetta (Blutrache) zwischen verfeindeten Sippen in Albanien, Korsika o.ä. funktioniert: ad hoc agierend, keine Führungsstäbe, keine Logistik. Kein Ethnologe würde auf die Idee kommen, solche Sippen als "Netzwerke" zu bezeichnen.

Die Attentate von Bali, von Dscherba usw. wurden (bezeichnenderweise von den Außenministern, nicht den zuständigen Innenministern) eilends und mit hohem Öffentlichkeitsgrad auf das Konto der Al Qaida geschrieben.
In keinem einzigen Fall konnte der Verdacht bestätigt werden. Das war aber auch gar nicht so wichtig. Die bloße Nennung des Schreckenswortes genügt ja, daß jeder Verdacht, man habe im Lande ein eigenes Terrorismusproblem (und also möglicherweise brisante innenpolitische Konflik-
te), sich sofort in Luft auflöst: Das ungreifbare "Terrornetzwerk" Al Qaida hat wieder einmal zuge-
schlagen, und dagegen ist schließlich jede Regierung machtlos, zumal die Aktionen ja ganz klar von außen organisiert sind. Al Qaida hat sich also in den letzten anderhalb Jahren zu einem universalen Alibi entwickelt, mit dem sämtliche Regierungen des Planeten sich hinsichtlich der Sicherheitslage in ihren Ländern zum Nulltarif exkulpieren können.

Heute sieht es ganz danach aus, als gäbe es Al Qaida tatsächlich. Sogar der arabische Sender Al Dschazira untertitelt seit einiger Zeit - das Grinsen der Redakteure sieht man nicht - Bilder von Bin Laden mit "Chef der Organisation Al Qaida". Nur dürften die Erzeuger von Al Qaida nicht Bin Laden oder Al Zawahiri sein, sondern amerikanische "Evidence"-Erfinder bei den Geheimdiensten und jede Menge sonstige freilaufende Terrorismusexperten bei den Medien.



Sonnabend, 13.09.03
Welch ein trauriges Leitmotiv, das sich da durch die Zeitgeschichte zieht: John Lennon, Ronald Reagan, Olof Palme, Izhak Rabin, Pim Fortuyn, jetzt Anna Lindh. Mögen die subjektiven Gründe der Täter sich unterscheiden - eines ist ihnen doch gemeinsam: Nur für kurze Augenblicke gelingt es einem solchen unbeachteten Niemand, sich herostratisch in das virtuelle Sein zu heben, das die öffentliche Aufmerksamkeit verleiht, um dann (abgeurteilt oder auch unentdeckt) wieder in die amorphe Masse zurückzusinken, aus der er kam. Der solarische Ozean ist längst mit der Erschaf-
fung neuer Kreaturen beschäftigt; Stanislaw Lem läßt es allerdings offen, ob die Geschöpfe des Ozeans ihren Ursprung im Unterbewußtsein der Menschen haben oder nicht.

Anna Lindh. Da die Realität uns nur noch als von den Medien aufbereitetes und portioniertes Fertiggericht erreicht, kann es nicht ausbleiben, daß neben dem Entsetzen über die sinnlose Tat und dem Mitleid mit dem Opfer und den Angehörigen auch das Nachbild, das uns von der Toten bleibt, ein künstlich erzeugtes, zumindest aufs 'Wesentliche' reduziertes ist. Also keine Frage: Mit Anna Lindh ist eine redliche und engagierte Politikerin aus unser aller Mitte gerissen worden, entschlossen und doch kompromißbereit noch zuletzt für die gute europäische Sache eintretend. Auf den Bildern dieses Gesicht, aus dem Klarheit, Geradlinigkeit, ein selbstbewußtes und doch gewinnendes Lachen uns anrühren. Das Gefühl des Verlustes, die Trauer, der ohnmächtige Zorn. Zu merkwürdig - vor zehn Tagen kannte ich diese sympathische Frau überhaupt nicht! Werden wir etwa manipuliert? Natürlich nicht! Wenn die Israelis nächsten Monat Jassir Arafat umbringen, wird unser Entsetzen, unsere Trauer nicht weniger intensiv sein, nicht wahr?

Wie durch Zufall stoße ich erst jetzt auf eine dpa-Meldung vom 21. August:

"Nach Ansicht von Schwedens Außenministerin Anna Lindh verfügt der italienische Ministerpräsident Berlusconi nicht über die Voraussetzungen, um die Regierungsverhandlungen über die EU-Verfassung wie geplant bis zum Jahresende abzuschließen. Lindh sagte im Rundfunk: "Eine etwas spezielle Re-
gierung wie die von Ministerpräsident Berlusconi hat nicht das politische Gespür, die politischen Kon-
takte sowie das Vermögen zu breiten politischen Kompromissen wie andere europäische Regierun-
gen." Das sei eher von der irischen Regierung zu erwarten, die am 1.Januar die Ratspräsidentschaft von Italien übernimmt. Die schwedische Regierung will nach Aussage der sozialdemokratischen Mini-
sterin ihre offiziellen Standpunkte zur Verfassung nicht wie von Italien gewünscht Anfang September, sondern erst Mitte November der Präsidentschaft vorlegen. Das habe man der italienischen Regierung schon "in deutlicher Form klargemacht", sagte Lindh."

Sabotage per Tiefschlag nennt man sowas wohl. Die schwedische Ministerin war vielleicht eine menschlich sympathische Person. Aber offensichtlich stand sie auch in einer sozialdemokratischen Tradition, derzufolge die Gürtellinie beim "rechten" Gegner direkt überm Knie liegt. Das letzte europäische Beispiel war der Boykott der sozialdemokratisch dominierten EU gegen das mit seiner ÖVP-FPÖ-Koalition leicht angehaiderte Österreich im Jahre 2000.

Silvio Berlusconi wird von Anna Lindh wohl nicht das Bild der redlichen Europa-Idealistin mit dem gewinnenden Lachen im Gedächtnis behalten, das die Medien für uns gezeichnet haben.



Sonnabend, 26.07.03
Die Evolution hört nie auf! Wer aufmerksam hinsieht, kann die Herausbildung einer neuen Sub-
species beim Homo sapiens beobachten: den Berufspolitiker. Man erkennt ihn daran, daß bei ihm die Fähigkeit, rot zu werden, verkümmert ist, ohne ein Rudiment zu hinterlassen. Na eben das Üb-
liche: Mutation, Selektion, Iso-... halt! Isolation, das wäre eine Katastrophe. Ohne eine Population von Wirtstieren können sie ja nicht überleben. Also doch nur gewöhnlicher Vampirismus?



Sonnabend, 26.07.03
Nun kommt sie groß raus: die Bürgerversicherung, die vorher nur ein Nischendasein in der Dis-
kussion gefristet hatte! Nach dem gelungenen Eulenspiegelstreich mit der Hartzkommission nun ein weiterer Versuch, mit der Antizipation einer verheißungsvollen Zukunft von der Misere der ge-
sundheitspolitischen Gegenwart abzulenken? Nein, diesmal ist es noch wieder anders, wirklich ein-
malig: Es ist das erstemal, daß eine Regierung eine noch bessere Reform quasi ankündigt, während sie noch damit beschäftigt ist, die beste aller möglichen Reformen zu verkündigen. Ich glaube, so beschreibt Rudyard Kipling im Dschungelbuch die Affen: Sie sind mit einer Frucht beschäftigt, doch kaum erblicken sie eine andere, die ihnen schmackhafter erscheint, vergessen sie sofort die erste, lassen sie fallen und greifen nach der neuen.
Schön, aber was würden wir in der Lage machen? Keine Ahnung, kein Konzept, aber den festen Willen, an der Macht zu bleiben. Muß man eben in Zukunft vorsichtiger sein, nur noch Reformen, die man auch ohne Sachverstand, mit Ideologie pur hinkriegt. Auf welcher Kassette habe ich nochmal die Bundestagsrede von Kerstin Müller (damals FraVoSi der Grünen), wo sie den Wählern noch einmal alle diese tollen Reformen der ersten Regierung Schröder aufzählt. Zum Beispiel die Senkung der Körperschaftssteuer, die ja so viele Arbeitsplätze geschaffen hat, ach nee, aber ganz bestimmt noch schaffen wird. Zum Beispiel die Gleichstellung auf allen Ebenen. Ist es nicht schön, daß die BRD an der Spitze des Fortschritts dahinschwebt? Wo sonst könnte Herr Z. aus L. nach mannigfachen geschlechtsspezifischen Verfolgungen nun endlich vor den Standes-
beamten treten und mit seinem Lieblingszwerghuhn den Bund fürs Leben schließen? Und für jedes Ei gibt's Kindergeld! Oder?

Doch zurück zur Bürgerversicherung. Immerhin könnte man diesem Lösungsversuch die Qualität einer wirklichen Reform nicht absprechen; führt sie doch wirklich ein neues Paradigma ein: Ver-
breiterung der Finanzierungsbasis und gänzliche Beliebigkeit der Leistungen. Die Leistungen dieser Versicherung können dann nach Kassenlage beliebig erhöht oder gesenkt werden, ohne daß die Versicherten groß was ändern könnten.

Hinsichtlich der Finanzierung ist es die Fortsetzung des bisherigen Systems im größeren Maßstab: Auch bisher folgten die Beiträge linear dem Einkommen (bis zur Bemessungsgrenze), die Leistun-
gen waren aber für alle die gleichen. Die durchschnittlich oder besser Verdienenden subventio-
nieren also auch jetzt schon die Versorgung der Schwächeren, vor allem der Millionenschar von Nichtzahlern. Logo, früher oder später mußte die Versuchung, neue, gutverdienende Nettozah-
lergruppen zu erschließen, übermächtig werden.
Eins steht jetzt schon fest: Wenn die unfreiwilligen neuen Einzahler (Selbständige, Beamte) später das Äquivalent ihrer Beiträge als Leistung wieder herausbekommen sollen, dann ergäbe das Ganze wenig Sinn. Aber daran ist auch gar nicht gedacht: Es geht hier lediglich um die Erschließung neuer Geldquellen, und da macht es nach der Bankrotteursphilosophie der Berliner Systemparteien durchaus Sinn.

Mal sehen, was das Verfassungsgericht dazu sagt. Schließlich, Abgaben, die nicht zu einem Leistungsanspruch führen, sind Steuern, keine Beiträge.



Donnerstag, 24.07.03
Udai und Kusai Hussein sind nicht mehr. Kaum jemand wird diesen beiden Playboys des Todes eine Träne nachweinen, gleichgültig wie kriminell die staatlich befohlenen Mordaktionen der Amerikaner an sich sein mögen. Und das sind sie: kriminell und weder durch das Gewohnheits- und Vertragsrecht der Völker noch durch die ohnehin fragwürdigen Rechtskonstrukte der UNO legitimiert.
Bush, Rumsfeld, Wolfowitz äußern höchste Zufriedenheit. Kein Wunder, sie stehen am Anfang der Befehlskette, welche diese und viele andere politische Morde an "Terroristen" legitimiert und legalisiert. Das Rechtsempfinden und die Rechtstraditionen der Amerikaner sind offenbar zu tief in biblischen (alttestamentarischen) Kategorien wie Sündigkeit, Verworfenheit, Sühne und, ja, Rache verwurzelt, um das Kranke in dieser amerikanischen Variante der Fatwah überhaupt zu erkennen.

Wenig überraschend, kommentiert Mister Tony Blair die erfolgreiche Treibjagd: "Ein großer Tag für den neuen Irak". Ist der Mann wirklich so blöd und verbohrt, daß er den verbrecherischen Charakter des Irakkrieges im allgemeinen und dieser Menschenjagden im besonderen nicht be-
greift? Und auch nicht begreift, daß die Besetzung durch eine Banditentruppe niemals eine ande-
re Rechtsordnung begründen kann als die eines kodifizierten Faustrechts? Gegen das bekanntlich jede Form der Notwehr legitim ist. Einige Wohnungsnachbarn im "europäischen Haus" sind schon ziemlich peinlich.



Dienstag, 22.07.03
Prächtig, prächtig. Da stellt sich diese begnadete Sozialpolitikerin Ulla Schmidt hin und verkündet "die bedeutendste Sozialreform der letzten Jahrzehnte". Schräg dahinter so ein ewiger Schulsprecher im Rentenalter namens Seehofer (CSU), verlegen nickend. Reform? Bedeutend? Da müßte doch so etwas wie ein systemischer Neuansatz, ein neues Gesamtkonzept der Gesund-
heitsversorgung und ihrer Finanzierung erkennbar sein, oder? Hier aber sind doch nur die schon vorhandenen, uralten Parameter neu justiert worden (Kostenabwälzung per Selbstbeteiligung, Leistungskürzung) bzw. gerade nicht justiert worden (kein Ende der Abzocke durch Pharmakon-
zerne und Apotheken, kein Ende der Ressourcenverschwendung durch Ärzteschaft und Kranken-
häuser). Neu ist höchstens die neoliberale Ungeniertheit, mit der hier die "Angebotsseite", also die Unternehmer, auf Kosten der Beitragszahler entlastet wird. Aber Ehre wem Ehre gebührt: Derartig dummdreist hat uns tatsächlich noch niemand eine "Beitrags- und Kostensenkung" verkauft, hinter der sich in Wirklichkeit nur eine Senkung der "Arbeitgeberanteile" (also eine Lohnkürzung) bei gleichzeitiger "Gegenfinanzierung" zu Lasten der Nicht-mehr-so-doll-Versicherten verbirgt. Wirk-
lich - ab einem bestimmten Punkt ist Frechheit Gnade.

Eine echte Reform wäre es immer noch nicht gewesen, aber wenigstens ein Bruch mit dieser uner-
träglichen Lügerei, wenn die Frau (oder ein anderer Riester-Klon) sagen würde: 'Ok, wir deckeln die "Arbeitgeberzuschüsse" zu den Kassenbeiträgen bei 6,5%, und die Kassenbeiträge werden auf 16,5% oder 17% erhöht.' Das Endergebnis wäre absolut das gleiche wie nach dieser Lügenreform auch; aber der Bürger könnte die Reformer wegen ihrer Stümperei verdammen, ohne sie auch noch wegen ihrer Unredlichkeit zu verachten. Laut Umfragen erreicht die Verachtung für "unsere" Politiker schon italienische Werte. Natürlich ist das Lügengewebe dieser Regierung (war Kohl viel-
leicht besser?) am wahlpsychologischen Kalkül festgemacht: "Sollen sie uns verachten, Hauptsa-
che, sie wissen bis zur Wahl nicht mehr, warum!" (Caligula). Oder sagte er: "Oderint, dum metu-
ant"? Na egal - Demokratien wie Diktaturen funktionieren im Grunde nach demselben Prinzip: Ohne mindestens 50% Bürger mit Pellkartoffel-IQ und Abluftgedächtnis könnten sie sich nicht halten.



Sonntag, 20.07.03
Hab gerade beim "Nachrichtensender" N24 vorbeigezappt. Eine 45min-Dokumentation über die Entwicklung "der Panzer" seit dem Ersten Weltkrieg. Hm - 40 Sekunden Tankschlacht 1917 bei Cambrai (Moderator sagt in der Anmoderation "Chambré"), je 60 Sekunden für den britischen Koalitionspartner, die Franzosen und unseren Leopard II. Der Rest kernige Marines und der Abrams M1, siegreichst aus allen Rohren schießend, terminatormäßige Feuerbälle en masse sowie amerikanische Wehrertüchtigungslyrik vom Feinsten. Stimme aus dem Hintergrund: "Ich bin glück-
lich, Soldat bei der Panzerwaffe der Vereinigten Staaten zu sein."
Am Schluß dann der Ausblick in technologische Fernen und das bescheidene Bekenntnis: "Unser Ziel ist es, daß die besten Soldaten der Welt auch die besten Waffen der Welt zur Verfü-
gung haben."
Und Abspann. Sogleich mußte ich einmal "America, the beautiful" singen.

Tja Jungs, wie Ihr mit euren zusammen über 350 Millionen Einwohnern die 24 Millionen Irakis fer-
tiggemacht habt, das schaffen nur die Besten! Und das auch noch gegen einen Gegner, der Panzer und sogar Handys hatte! Ich denk mal, fünf, sechs Divisionen Waffen-SS, annähernd gleichwertig ausgerüstet, hätten diese comicreif unbesiegbaren Marines in vier Wochen zu Schappi verarbeitet. Soviel zum Thema "Best army in the world" ...
Andererseits: Hätten die deutschen Soldaten im WK II die Kampfmoral und sonstigen soldati-
schen Qualitäten der Iraker gehabt, wäre der Krieg nach 3 Monaten aus gewesen. Hätte für alle Beteiligten 'ne Menge Holz gespart. So falsch lag also Peter Scholl-Latour nicht mit seiner Ein-
schätzung von Anfang März: "Der Iraker ist kein Kämpfer, das liegt ihm nicht."

Wie dem auch sei - das soll nun das letztemal gewesen sein, daß ich mir das antue: N24, ein Low-Budget-Sender, der offenbar auch noch den letzten von der US Army, Navy oder sonstwem subventionierten Selbstbeweihräucherungsmüll dieses dummen und eitlen Volkes an sein deutsches Publikum durchreicht.



BILD vom 14.07.03
Diestag, 15.07.03
BILD sagt nein zu Italienerwitzen!
Nachdem nun die internationale Krise um das Bermudadreieck Berlusconi-Schulz-Stefani beigelegt scheint, glättet auch die BILD-Zeitung die Wogen der Entrüstung: Wenn das angebo-
rene Feingefühl des typischen BILD-Lesers es ihm nicht schon gesagt hatte, so mag die milde Ermahnung seines Leib- und Magenblattes die Einsicht fördern: Italienerwitze sind der alten deutsch-italienischen Freundschaft abträglich. Und überhaupt schürt sowas nur Vorurteile, das muß man einem BILD-Leser ja nicht erst sagen.







Ja, aber was sehen wir denn da! Wer mag denn nur dem Chefredakteur diesen bösen Streich gespielt haben?

BILD vom 11.07.03


















Montag, 14.07.03
Die Amerikaner haben den Irakis eine provisorische Regierung spendiert, wie schön. Und diesen schmierigen Ahmad Tschalabi haben sie natürlich auch wieder plaziert. Ich bin neugierig, wann das erste Mitglied dieser fragwürdigen Marionettentruppe von seinen eigenen Landsleuten zu Allah ar'Rachman ar'Rahim befördert wird: Die Abschaffung von Saddams Feiertagen dürfte die Leute wenig kratzen. Aber dann noch den 9. April als "Tag der Befreiung" durch die Amerikaner zum Nationalfeiertag auszurufen, das ist eine solche Stiefelleckerei, daß es Fäden zieht. Man muß kein Kenner der arabischen Welt sein (bin ich nicht), um zu begreifen, daß das Datum der Einnahme Bagdads im arabischen Geschichtsbewußtsein primär immer mit der Schmach der Niederlage ge-
gen die verhaßten Amerikaner verknüpft sein wird. Im arabischen Geschichtsbild wird der Krieg kein Befreiungskrieg sein, sondern genau das, was er ja auch war: der feige Überfall eines über-
mächtigen, futuristisch aufgerüsteten Banditenstaats, auf ein Land, das schon seit zwölf Jahren am Boden lag, knapp unterhalb des Existenzminimums gehalten durch die Sanktionen einer ande-
ren kriminellen Vereinigung namens 'United Nations'
. Bremer, der Nachfolger des offenbar völlig vertrottelten Generals Garner, erscheint mir eigentlich zu clever für einen so kapitalen psy-
chologischen Fehler. Aber dieser kranke Einfall mit dem Nationalfeiertag, in dem sich "demokra-
tische" reeducation und genüßliche Demütigung dieser "arab bastards" so gefällig vereinen, würde gut zu dem Psychoprofil von Rumsfeld passen, der an bösartigem Kretinismus seinen Präsidenten ja noch übertrifft.



Dienstag, 08.07.03
Silvio Berlusconi, italienischer Ministerpräsident, ist als solcher der würdige Fortsetzer einer an zwielichtigen Gestalten reichen Ahnenreihe. Und wie seine korrupten, z.T. kriminellen Vorgänger ist auch er keine Panne in einem ansonsten intakten Apparat; ganz im Gegenteil ist sein Aufstieg überhaupt nur erklärbar in einem gesellschaftlich-politischen Milieu, das die Franzosen vielleicht 'faisandé' nennen würden: gut abgehangen bis leicht angewest. Irgendein kluger Kopf schrieb neulich, Berlusconis Erfolg verdanke sich neben der sattsam bekannten Korruption in der politischen Klasse des Landes auch der Tatsache, daß sehr viele Italiener ebendiesen Erfolg bewundern und sich mit dem Erfolgreichen identifizieren, statt ihn zu verurteilen. Ecco, Mamma, deinen Bruder haben sie erwischt und für drei Jahre eingelocht. Aber Berlusconi, der weiß, wie's gemacht wird!

Also eine erstklassige Besetzung für den EU-Ratsvorsitz, der Signore Berlusconi. Ehrlich gesagt, wenn der Europäischen Union, diesem Zerrbild eines europäischen Gemeinwesens, ein so peinliches Mißgeschick widerfährt, - ich bin der letzte, der darüber böse ist. Aber schön war es doch, wie der SPD-Abgeordnete Martin Schulz dann so richtig voll in die Bütt stieg und dem Unwürdigen seine moralische Verurteilung vor die Füße schmadderte. Ganz hübsch eigentlich - das Pharisäertum hat in der deutschen Linken eine große Tradition. Aber vor allem ganz hübsch unsachlich, auch das große linke Tradition. Keine Sachargumente, nur moralische Entrüstung, noch dazu in einer Angelegenheit, die weder den Deutschen noch den Europa-Abgeordneten Schulz wirklich etwas angeht.

Berlusconis Konter - wenn auch nicht bis ins Letzte durchdacht - scheint mir doch nicht ganz unvorbereitet gewesen zu sein. Gegen ein taktisches Planspiel spricht der historische Schnitzer in der Anspielung auf den KZ-Aufseher: 'Kapos' waren im deutschen Strafvollzug Hilfsaufseher, jedoch selbst Sträflinge, keine SS-Leute. Aber es bleibt das schlaue Ablenkungsmanöver: Die verbale Entgleisung des neuen Ratsvorsitzenden zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Welch ein Skandal! Was war nochmal der Auslöser der Kontroverse gewesen? Ach ja, Berlusconis krumme Praktiken in Italien, na und!

Das kommt davon, wenn man Weltmeister in antifaschistischer Bigotterie ist: Nachdem die deutsche Linke sich über den Judensternvergleich Roland Kochs und die von Hertha Däubler-Gmelin gezogene Parallele zwischen Bush und Hitler so furchtbar aufregen mußte, bestand jetzt natürlich schon wieder verschärfte Aufregungspflicht. Wat'n Unglöck, daß die schöne Attacke des Herrn Schulz infolgedessen ins Leere ging.



Mittwoch, 11.06.03
Für mich war Michel Friedman(n) wie der ganze Zentralrat der Juden nur eine Heimsuchung des Herrn. Diese selbstgerechte Anmaßung der Juden uns gegenüber, diese perpetuierte Anklage auch noch gegen die Nachfahren der Nazigeneration (zu denen ich ja auch schon zähle) - schwer zu ertragen, jetzt nach dem peinlich-blöden 'Staatsvertrag' mit dem ZR noch potenziert. Kurz - die Juden und ich - das Verhältnis ist schon seit den Zeiten von Heinz Galinski zerrüttet.
Und Friedman selbst - sogar gegen Bezahlung würde ich eine seiner Shows nicht bis zum Ende durchstehen. Schon allein diese affige Geste, wenn er, ganz der nachdenklich personifizierte Weltgeist, das Köpfchen auf einen spitzen Finger stützt, sein Opfer wissend beobachtend - also nee. [Übrigens, Bärbel Schäfer macht das auch schon.]

Und nun das mit der Kokainaffäre. Mescalero-Feeling: Ich konnte mich eines leisen Anflugs von Schadenfreude nicht erwehren, wie wohl die meisten Deutschen.
Jedoch - auch wenn es mir jetzt peinlich ist: Stutzig wurde ich erst, als dann die Geschichten mit den käuflichen Damen vor einer genießerischen Öffentlichkeit ausgebreitet wurden. Was bitteschön hatten denn diese unappetitlichen, aber strafrechtlich absolut irrelevanten Details aus Friedmans Privatleben in der Öffentlichkeit zu suchen?!
Michel Friedman ist von Anfang an von der Berliner Justiz übel gefoult worden. Es wäre interessant zu wissen, wie die Leute an die Haarprobe gekommen sind. Mag hingehen. Aber was dann kam, Rotlicht, ukrainische Nutten, Menschenhändlermilieu usw., das verletzte ohne jede sachliche Rechtfertigung seine Intimsphäre in einer Weise, daß das Wort von der öffentlichen Hinrichtung eine glatte Untertreibung ist. Wer diese Öffentlichmachung zu verantworten hat, Staatsanwalt oder sonstwer, dem würde ich es notfalls ins Gesicht sagen, daß er ein Lump ist, der sehr wohl wußte, was er anrichtete. Wenn diese Gemeinheit ohne Folgen bleibt, wirft das ein böses Licht auf den "Rechtsstaat Deutschland".



Montag, 02.06.03
"Erlösender Händedruck mit Bush" titelt die FINANCIAL TIMES Deutschland den Bericht über das St.-Petersburger Zusammentreffen zwischen Schröder und dem Washingtoner Herrn der Zwecklügen. Dieses Bibbern: "Wird es wieder einen bösen Blick geben, gibt's Anzeichen der Verzeihung?", diese Angst vor dem transatlantischen Liebesentzug! Sind wir eigentlich ein Fürstentum des Rheinbundes? Dessen Herrscher von Napoleons Gnaden verbuchten es als außenpolitischen Erfolg, wenn sie dem Kaiser, geschmeidig hervorspringend, die heruntergefallene Spielkarte aufheben durften. (Ultimer Triumph: "Beim Überreichen der Karte reüssirte ich sogar, Seiner leutseeligsten Majestät einen Handkuss zu appliciren. Sie ahnen wohl, Theuerste, was das für unser Land bedeuten kann!") Angela Merkels USA-Besuch könnte da durchaus Reminiszenzen wecken.

War George Langelaan CDU-Mitglied? Die um Merkel und Stoiber versammelten Heerscharen der Magier, welche unentwegt die (von Schröder ach so leichtfertig gefährdete) deutsch-amerikanische Freundschaft beschwören, sie versuchen, eine Chimäre zum Leben zu erwecken, die noch nie gelebt hat. Da helfen auch keine Pentagramme. Eine deutsch-amerikanische Freundschaft, die diesen Namen verdiente, hat es nie gegeben, lediglich ein antikommunistisches Zweckbündnis mit sentimentalem Zuckerguß. Neben der fast unbegreiflichen Torheit, mit der die CDU an der Rechtfertigungsphilosophie für diesen ebenso dümmlichen wie verlogenen Feldzug 'gegen das Böse' festhält, nimmt sich allerdings das kognitive Versagen bei der Geisterbeschwörung der deutsch-amerikanischen Beziehungen vergleichsweise harmlos aus ...

Deutschland braucht eine gute Zusammenarbeit mit den USA, gut in dem Sinne, daß beide Seiten daraus Vorteil ziehen; Deutschland braucht aber auch außenpolitische Statur, in dem Sinne, daß deutsche Politik sich nicht mehr als Funktion fremder Wünsche und Launen definiert.
Worauf Deutschland zur Not auch verzichten kann, das ist die "Liebe", die uns von den ebenso törichten wie anmaßenden Amerikanern oder ihrem narzißtischen Präsidenten huldvoll gewährt wird, natürlich nur bei Wohlverhalten.



Sonnabend, 31.05.03
"Strafe Frankreich, ignoriere Deutschland, verzeihe Rußland!" soll Condoleezza Rice Präsident Bush als Richtlinie für Europa mitgegeben haben (FAZ). Die Frau ist wirklich ein Albtraum, nicht nur optisch; aber die lakonische Knappheit der Maxime gefällt mir.



Freitag, 30.05.03
Das ist wohltuend: In der Wüste der ideologischen Sprachregelungen (sagen wir doch einfach: der sozialpolitischen Zwecklügen), in der ich seit vielen Jahren als einsamer Flüsterer zu Hause bin, endlich mal einer, der mir recht gibt. Der exakt das ausspricht, was ich seit Jahren predige. Im heutigen Leitartikel der FINANCIAL TIMES Deutschland: "Das Lieblingsmärchen des deut-
schen Sozialstaats ist der "Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung". In Wahrheit handelt es sich dabei nur um einen weiteren Bestandteil des Lohnes
, da Unternehmen stets mit den Gesamtkosten rechnen, wenn sie jemanden einstellen."
Das habe ich so oder ähnlich noch nie in den Medien gehört/gelesen. In keiner Gesprächsrunde, in keinem Leitartikel. Umso erstaunlicher, als es doch längst anerkannte Lehrmeinung ist, die auch schon mal in besseren Nachschlagewerken zitiert wird: "Ökonomen gehen allerdings davon aus, daß [der Arbeitgeberanteil] Lohnbestandteil (Lohnnebenkosten) ist..." (Gabler, Volkswirtschaft-
liches Lexikon 1996).

Irgendwie ist das für mich ein Phänomen von makabrer Faszination, diese geschlossene Phalanx von Unternehmervertretern, Gewerkschaftsfunktionären, Vertretern sämtlicher Systemparteien (PDS?), Medien, die alle treuherzig die Notwendigkeit verkünden, die "Lohnnebenkosten" endlich zu senken.
Oh nein! Dieser "Arbeitgeberanteil", der ja hälftig in die Aufwendungen der Arbeitnehmer zur Da-
seinsvorsorge eingeht, ist selbstverdient, mit Arbeit bezahlt, und keineswegs eine milde Extrazu-
gabe zum Lohn. Die "Lohnnebenkosten" werden auch nicht als Gewinnminderung bilanziert, son-
dern gehen als ganz normaler Lohnbestandteil in die Kostenrechnung des Unternehmens ein, für den der Arbeitnehmer ja auch arbeitet. Eine Senkung der angeblichen "Lohnnebenkosten" ist mithin eine glatte Lohnkürzung. Und zwar auch dann, wenn die Sozialbeiträge sinken. Denn - das ist heute schon klar erkennbar - diese "Senkungen" sind eine sozialpolitische Mogelpackung, werden ja durch die steigenden "Eigenleistungen" der Versicherten (Patientenzuzahlungen, private Rentenversicherung) und die Leistungskürzungen satt "gegenfinanziert".
Kein vernünftiger Mensch würde etwas dagegen haben, und es entspräche auch dem ursprüng-
lichen Sinn des "Arbeitgeberanteils", wenn Sozialbeiträge leistungsneutral (!) gesenkt würden, und mit ihnen der über die Beiträge definierte Teil des Lohnes. Aber auch nur dann. Solange jedoch dieser unsägliche Ausdruck "Lohnnebenkosten" unwidersprochen in den Diskussionen verwendet wird, ist die Unterwerfung unter die Sprachregelungen der neoliberalen Arbeitgeberideologie offenkundig und das Niveau vorgegeben. Ich gucke dann immer, was gerade in der "Ali G. Show" läuft

Kleiner Wermutstropfen: Der Leitartikler der FTD wollte eigentlich nur darauf hinaus, daß die KV-Zuschüsse für die Rentner doch gestrichen werden sollten, da ja die Parafisken keine Arbeit-
geber und die Rentner keine Arbeitnehmer seien. Trotzdem: Ist es gleich Wahnsinn, hat es doch einen Nutzen (Wladimir Iljitsch Shakespeare, "Der nützliche Idiot", glaub' ich).



Donnerstag, 03.04.03
Because of the nature of the regime. Oder: Christliche Humanität, Washingtoner Lesart. Tony Blair hat beim Meeting vom 27. März in seiner Rede vor dem Kongreß so nebenbei auch ein sehr schönes Statement zu Saddams Schuld am Tod der irakischen Kinder abgegeben:

"... And if you just want one statistic -- although statistics I'm afraid never have the same emotional appeal as pictures, but we don't see these pictures of what has happened in Iraq in the past -- but just one statistic: Over the past five years, 400,000 Iraqi children under the age of five died of malnutrition and disease, preventively, but died because of the nature of the regime under which they are living. Now, that is why we're acting ..."    [www.whitehouse.gov/news/releases/2003/...]

Danke, Prime Minister! The emotional appeal of your statistic is highly sufficient. Eine halbe Million kleine Kinder verhungert, aber nicht etwa weil eine gefühl- und verstandeslose UNO-Bürokratie das billigend in Kauf nimmt; nein, sie sterben "because of the nature of the regime". Was mag Mr. Blair damit wohl gemeint haben? Saddam hat doch die spärlichen Ressourcen, welche das durch den Krieg von 1991 und die darauffolgende 12jährige Hungerblockade der UNO ruinierte Land hergab, überraschend gerecht verteilt. Nun, "because of the nature of the regime" bedeutet: Hätte die UNO eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung durch Einfuhren erlaubt, so hätte sich das stabilisierend zugunsten des Saddamregimes ausgewirkt. Was selbstverständlich inakzeptabel war. Die Unterernährung und die medizinische Nullversorgung der irakischen Kinder waren also kausal mit der Existenz dieses Regimes verknüpft. Alles klar?

Hinsichtlich der wahren Natur des UNO-Regimes über den Irak bin ich - und dafür schäme ich mich - erst durch die Reemtsma-Affäre vor einigen Monaten stutzig geworden. Erst da erfuhr ich mit einer gewissen Verblüffung, daß die Firma es gewagt hatte, mit dem Verkauf von Zigaretten an den Irak das UNO-Embargo zu unterlaufen! Embargo auf Zigaretten? Erst da begann ich zu ahnen, welchen Umfang die von den Amerikanern durchgesetzten Sanktionen haben mußten. Und daß das ach so humanitäre Projekt "Öl für Lebensmittel" gar keine Hilfsaktion der UNO für den Irak war (wie denn auch? Um sein Öl zu verkaufen, brauchte Saddam keine Hilfe), sondern im Gegenteil eine Kontingentierung der irakischen Kaufkraft als flankierende Maßnahme zur schon bestehenden Hungerblockade gegen das Land.

Hier starben Hunderttausende, weil Amerika und die UNO es so wollten. Die Regierungen Kohl und Schröder, die doch genau im Bilde waren, kamen über ein mißbilligendes Gemurmel nicht hinaus. Erstaunlich, wie entspannt besonders deutsche Politiker, die doch für die moralische Schuld ihrer Elterngeneration so sensibel sind, hier mit der klaren Mitschuld Deutschlands umgehen. Mit der Schuld, daß sie, wie der Rest der Europäischen Union auch, nicht durch einen knallharten und offenen Boykott der UNO-Repressalien diesen schleichenden Völkermord verhindert haben.

Die Erklärung muß wohl in dem Satzfetzen liegen, der sich da schon wieder unauffällig in den Hintergrund des Bewußtseins drängt: Because of the nature of the regime ...



Freitag, 28.03.03
Die CNN-Berichterstattung aus Bagdad wird oft von Christiane Amanpour gemacht. Wenn sie das Wort "Irak" ausspricht, ist das immer lustig: Sie hat gelernt, daß das 'a' vor dem 'q' (Qaaf) sehr dunkel und kehlig zu sprechen ist. Also macht sie ihren ohnehin ziemlich großen Mund weit auf und produziert mit einer gewissen Hingabe ihr 'Iroooq'. Das lenkt mich immer von dem eigentlichen Bericht ab. Ich überlege dann, ob sie im Kollegenkreis vielleicht den Spitznamen "Deep Throat" haben könnte .....



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